Die Insel des Mondes
kämpfen wäre nur eine Verschwendung ihrer restlichen Kräfte, und die sollte sie dringend dafür einsetzen, zu den anderen zu gelangen.
Immerhin hatte es in den letzten Stunden nicht geregnet, und die Hitze hatte ihre Kleider getrocknet, nur ihre Schuhe waren innen noch feucht.
Sie schleppte alle Sachen nacheinander zu einem kleinen runden Platz, der nicht von armdicken Wurzeln durchzogen war. Während sie damit beschäftigt war, wurde es zunehmend dunkler, und Paula beeilte sich, Palmblätter als Unter lage abzuschneiden, entdeckte dann, versteckt zwischen zwei Farnbäumen, eine Gruppe von Elefantenohren mit riesigen Blättern und ärgerte sich wieder, dass sie nichts zum Feuer machen dabeihatte, denn die Sprossachsen der Elefantenoh ren konnte man essen. Aber man musste sie kochen wie Kartoffeln, roh waren sie zwar nicht giftig, aber unverträglich. Wir haben die Jackfrucht, das wird schon reichen, tröstete sie sich und hängte ihr Moskitonetz an einen Ast. Dann holte sie Jo aus der improvisierten Hängematte zu sich, davon wachte er auf. Sie fütterte ihn, und danach legten sie sich hin.
Das war ihre erste Nacht ganz allein im Dschungel, Paula erwartete, vor lauter Angst kein Auge zuzutun, aber sie schlief sofort ein und erwachte erst am nächsten Morgen, als sie von den Schreien der Lemuren und von Jo geweckt wurde.
Als Erstes gab Paula dem Kleinen wieder Früchtebrei und fing dann damit an, Lázlós Gepäck durchzusehen, was mit ihren immer noch klebrigen Händen viel länger dauerte, als sie geplant hatte. Ihre Ungeduld wuchs. Sie mussten hier weg, die anderen einholen. Allein mit einem Säugling konnte sie hier nicht lange überleben.
Lázló hatte nur wenige Kleider, ein zweites Paar Schuhe, sein Coup-Coup, sein Moskitonetz, eine Decke, Rasierzeug, einen Kamm, ein großes Skizzenbuch und eine sehr schön geschnitzte, kaum benutzte Tabakpfeife aus Meer schaum, was sie wunderte, weil sie ihn niemals hatte rauchen sehen. Vermutlich war es ein Erinnerungsstück. Ein Hochzeitsbild, auf dem Land aufgenommen, der Stil des Kleides verriet, dass es schon zehn Jahre alt sein musste. Der Mann auf dem Bild kam ihr bekannt vor, auch die hübsche zier liche Frau mit dem gewaltigen Hut, aber sie hätte nicht sagen können, woher oder warum. Dann war da noch ein goldenes Medaillon mit einem rosafarbenen emaillierten Deckel. Paula zögerte, es zu öffnen, aber an dem Metall klebten ihre Finger nicht so stark, und deshalb siegte ihre Neugier. Es war eine blonde Haarlocke darin und ein Frauenbildnis, aber es zeigte nicht die Frau von dem Hochzeitsfoto. Dieses Bild war schon sehr vergilbt, und die Frau darauf trug einen Hut, wie ihn Paula noch nie gesehen hatte, woraus sie schloss, dass es sich um eine Mode vor ihrer Geburt handeln musste. Eine kleine Schute aus Stroh, die eng am Gesicht lag und die mit Satinvolants verziert war. Auf dem Hut konnte sie ein paar Blumen und Früchte erkennen. Auch diese Frau kam ihr vage bekannt vor, ohne dass sie wusste, warum.
Unwillkürlich schnupperte sie an der Haarlocke, die nach etwas roch, das sie kannte, aber sie kam nicht darauf, was es war.
Sie betrachtete den kleinen Haufen und fragte sich, was davon sie zurücklassen sollte, aber es fiel ihr schwer, sich zu entscheiden. Musste man nicht alles an Lázlós Angehörige zurücksenden? Bestimmt gab es jemanden in Ungarn, dem er etwas bedeutet hatte. Und seine Kleider waren viel zu wertvoll, als dass man sie dem Dschungel überlassen durfte. Dann wirst du nur sehr langsam vorankommen, das muss dir klar sein, Paula.
Sie betrachtete den Haufen noch einmal und stöhnte, sie konnte nichts von Lázlós Sachen zurücklassen. Sie griff nach dem Skizzenbuch, um es wieder einzupacken, doch der Einband pappte an ihrer klebrigen Hand fest, und das Buch öffnete sich. Dabei fiel ein zusammengefalteter Brief heraus, adressiert an einen Monsieur Edmond Albius. Auch dieser Brief berührte etwas in ihr, der Name erinnerte sie an den ihres Mannes, Eduard von Wagenbach, ein Name, den sie gern vergessen wollte. Trotzdem wollte sie diesen Brief gern lesen, jedoch lieber erst dann, wenn sie wieder in Sicherheit bei den anderen war. Sie berührte den Brief nur mit den Fingerspitzen, damit er nicht auch noch an ihr kleben bliebe, und legte ihn zu den Habseligkeiten, die sie zurück nach Ungarn senden würde. Sie packte Lázlós und ihre Sachen zusammen in ein großes Bündel, dazu musste sie aber auch noch die schweren Jackfrüchte packen, denn sie
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