Die Insel des Mondes
einen Namen gebe, und ich dachte an Johannes. Allerdings waren wir uns einig, dass ein Kind dieser Insel einen Namen dieser Insel haben sollte, doch wir kannten keinen. Haben Sie einen Vorschlag?«
»Lázló wollte das?« Norias Augen verschleierten sich. »Wo ist Lázló?« Sie trat näher zu Paula hin. »Wo ist er?«
»Es tut mir leid«, murmelte sie. Hatte Noria denn nicht verstanden, was sie vorhin erzählt hatte?
»Wo ist seine Leiche?« Noria starrte Paula herausfordernd an.
»Ich habe ihn im Wald begraben«, log Paula und fühlte sich noch schlechter.
»Wo ist seine Leiche?«, fragte Noria wieder, als wüsste sie um Paulas Lüge.
»Im Wald, ich konnte ihn nicht tragen.«
»Wir lassen unsere Freunde nicht wie einen räudigen Hund auf der Erde verrotten.«
»Nein«, sagte Paula viel zu schnell, weil es ihr jetzt reichte. »Ihr setzt Säuglinge zum Sterben in Ameisenhaufen aus, das ist sehr viel besser!«
Zu spät fiel ihr ein, dass man auch Noria ausgesetzt hatte, und sie verwünschte ihr Mundwerk.
Noria boxte Paula so brutal in den Oberarm, dass sie zur Seite kippte und Jo aus ihrem Arm fiel. Noria schwang ihre Beine über Paulas Oberkörper und setzte sich auf ihre Brust. »Also, was haben Sie mit ihm gemacht?«
Paula bekam kaum noch Luft und hoffte, dass dem Kleinen nichts passiert war. Morten erschien japsend und wollte wissen, was dieser Tumult zu bedeuten habe.
»Halt! Schluss jetzt.« Villeneuve hatte ihren Fuß losgelassen und zerrte Noria von Paula herunter. »Was soll denn das?« Villeneuve half Paula, sich wieder aufzusetzen, nahm den Kleinen hoch und legte ihn ihr in den Arm. Dann betrachtete er ihre Füße und schüttelte den Kopf, weil sie durch Norias Attacke von den Blättern gerutscht und voller Dreck waren.
»Verdammt!« Er hockte sich hin und wusch den Schmutz wieder ab. »Verrückt geworden. Alle verrückt geworden!«
»Es waren die Spinnen«, keuchte Paula, die immer noch nach Luft rang.
Jetzt starrten sie alle drei an.
»Goldspinnen haben ihn nicht nur getötet, sondern ihn auch beerdigt.«
Noria wurde blass.
»Ich wiederhole es nur ungern, aber es gibt auf Madagaskar keine tödlichen Spinnen.« Morten schüttelte den Kopf. »Und erst recht keine Goldspinnen.«
Noria schluckte ein paarmal. »Dann haben ihn seine Ahnen auserwählt. Ich kenne niemanden, der das wirklich schon gesehen hat, und nur einmal hat mir jemand davon erzählt.« Sie biss sich auf die Lippen und schwieg. Dann betrachtete sie Paula ohne jeden Hass, ja mit Erstaunen und fast schon ehrfürchtig.
Das schien Morten zu ärgern. Denn er schnaubte ein ums andere Mal und legte dann los. »Goldspinnen, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Madame Kellermann, aber das gehört wohl eindeutig ins Reich der Märchen. Ich fände es allerdings nur gerecht, wenn Sie uns verraten würden, was wirklich passiert ist. Lass dich nicht herbei, eine Lüge zu reden, denn es ist nichts Gutes von ihr zu erwarten. Sirach.«
Er vernuschelte die Worte gar nicht mehr, früher hätte sich »Sirach« nach »Schiraaccchhhh« angehört. Oder war ihre Erinnerung von den Ereignissen getrübt? Sie beschloss, mehr darauf zu achten, aber jetzt nichts weiter zu sagen, es würde so aussehen, als ob sie ablenken wollte.
»Nirina«, sagte Noria unerwartet in die salbungsvolle Stille, die Morten mit seinem Bibelspruch provoziert hatte. »Nirina.«
Paula wusste sofort, was es war. In ihrem Bauch fühlte sie, dass das der richtige Name von Jo war, und sie freute sich über dieses Friedensangebot von Noria.
»Das klingt wunderschön«, sagte Paula, »so wollen wir ihn nennen.«
»Für mich hört sich das an wie ein Mädchenname.« Ville neuve mischte sich ein, während er weiter Paulas Fuß bearbeitete.
»Das bedeutet ›der Gewünschte‹, und dieser Name gilt für Jungen und für Mädchen«, erklärte Noria. »Mein Vaterbruder heißt so.«
»Ihr Vaterbruder?« Paula stutzte. »Ich dachte, Sie wären bei Missionaren aufgewachsen?«
Noria nickte. »Das ist richtig.« Sie stand auf. »Ich werde mich um das Essen kümmern. Sie und Nirina haben sicher Hunger.«
»Und wie.«
»Ein Mann ist tot, und Sie denken ans Essen.« Morten stand auch auf und gab Paula das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Wir hatten bei unserer überstürzten Trennung vergessen, etwas zum Essen mitzunehmen.«
»Dieser ganze Plan war verantwortungslos, unser Verstand war vernebelt von den Gesängen, die uns verfolgt haben.« Villeneuve wrang den Lappen aus, mit
Weitere Kostenlose Bücher