Die Insel des Mondes
erwiderte ihr Lächeln. Doch plötzlich erstarb das Lächeln auf Norias Gesicht und verwandelte sich in Miss billigung. »Die Ahnen verstehe ich, Sie hingegen nicht. Reicht Ihnen noch nicht, was Sie angerichtet haben? Sie haben ein Fady verletzt, und wenn Sie noch eines verletzen, dann werden wir alle sterben.« Sie zeigte auf die Krokodile. »Das hier sind hungrige Ahnen. Und ich schätze mal, sie sind besonders gierig nach Nirina, den sie schon vor ein paar Tagen erwartet haben. Ich glaube, Ihre Familie sucht den Tod.«
»Unsinn!«
»Schon Ihre Großmutter war so. Unbelehrbar.«
Paula fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. »Was wissen Sie über Mathilde?«
»Nichts.« Noria stand auf und suchte ihren Blick. »Ich weiß nichts über Ihre Großmutter, ich meine nur, dass es für Europäer fast schon todesmutig ist, wenn sie sich für ein Leben hier im Nordosten von Madagaskar entscheiden.«
Noch nie hatte Noria ihr so demonstrativ in die Augen geschaut – sie log, da war Paula sicher. Irgendetwas war da faul.
»Wenn ihr Europäer nicht an Malaria oder Pest sterbt, dann geht ihr an Lepra zugrunde. Was wollt ihr überhaupt hier? Ihr dringt in unser Land ein und zerstört die Menschen und ihre Traditionen.« Noria schüttelte den Kopf. »Infiziert sogar unsere Königin mit euren lächerlichen Ideen von Gott. Aber gut, von mir aus, gehen wir zurück. Wir werden ja sehen, was geschieht.«
»Und dann – bauen wir ein Boot?«
»Wenn Sie so dringend sterben wollen.«
Noria lief los. Wieder humpelte Paula mit Nirina hinter ihr her. Sie wurde nicht schlau aus Noria. Wenn sie dagegen war, den Fluss zu überqueren, warum verließ sie dann die dummen Europäer nicht einfach, was hielt sie zurück? Etwa die Aussicht auf Paulas Kleid? Nein, Noria war die Einzige von ihnen, die zurückgehen und die Kisten ausgraben konnte. Es musste andere Gründe geben. Und warum hatte sie Paulas Großmutter ins Spiel gebracht und dann so getan, als hätte sie damit nur die Europäer an sich gemeint?
Als Paula und Nirina endlich bei den anderen anlangten, die trotz der Hitze immer noch um das kleine Feuer herumsaßen, gab es heftige Wortgefechte zwischen Morten, Villeneuve und Noria. Paula setzte sich hin, zog die Strümpfe sofort aus und betrachtete ihre geschundenen Füße, während sie ihnen zuhörte.
Morten war ungewöhnlich hitzig. »Ein Einbaum, das ist doch völliger Irrsinn – um so etwas zu bauen, brauchen wir Jahre. Mal ganz davon abgesehen, dass wir nicht ein einziges Werkzeug haben, um so etwas zu schnitzen.«
»Sind wir uns wenigstens einig, dass wir über den Fluss hinüberwollen?«, fragte Villeneuve.
Morten nickte.
»Und wenn wir es mit Feuer versuchen«, mischte sich Paula ein. »Man könnte doch das Innere eines Baumes ausbrennen lassen.«
»Und wie, Madame Kellermann, wollen Sie einen Baum fällen, der so groß ist, dass wir alle Platz darin finden?« Morten schürzte die Lippen.
»Es gibt doch nun wirklich genügend Bäume, die umgestürzt herumliegen.«
Noria lachte kurz auf. »Die, die umstürzen, sind entweder von Termiten angefressen oder von Lianen erwürgt worden, das ist schwaches, weiches Holz, das als Boot nicht infrage kommt.«
Paula wechselte mit Villeneuve einen kurzen Blick und starrte dann zum Fluss. Von den Krokodilen war durch die Elefantenohren und die dichten Bambusblätter von hier aus nichts zu sehen, der Fluss wirkte völlig ungefährlich. Es musste einen Weg geben, und sie würde ihn finden. Sie hatte nicht mehr viel Kraft, und ihre Füße brauchten Ruhe.
»Wenn wir kein Boot bauen können, wie sieht es mit einem Floß aus?«
»Wunderbar, dann werfen wir uns doch gleich den Krokodilen zum Fraß vor.« Morten lachte spöttisch. »Wer will anfangen?«
»So breit ist der Fluss nun auch wieder nicht, wir könnten es schaffen.« Villeneuve zögerte. »Aber woraus bauen wir das Floß, wenn alles Holz morsch ist und wir das gesunde ohne Sägen und Beile nicht abholzen können?«
Paula wandte ihren Blick vom Fluss ab. Sie wusste jetzt, was sie tun mussten.
»Bambus, wir bauen ein Bambusfloß. Sind die Coup-Coups scharf genug für Bambus?« Sie schaute Noria fragend ins Gesicht.
Die zuckte nur lahm mit den Schultern.
»Das könnte gehen.« Villeneuve sprang auf, griff sich sein Buschmesser und rannte hinunter zum Fluss. Schweigend sahen Morten, Paula und Noria ihm dabei zu, wie er sich an einer Bambusstange abarbeitete. Immer wieder hieb er die Klinge seines Buschmessers in das
Weitere Kostenlose Bücher