Die Insel des Mondes
dem er ihre Füße gewaschen hatte, und stand auf. »Morten, wir haben einen schändlichen Fehler gemacht, wir alle.«
Paula war überrascht, dass er sich verantwortlich fühlte für das, was passiert war, und sie war ihm sehr dankbar, weil es ihre Schuld an Lázlós Tod ein klein wenig erträglicher machte. Sie spürte zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, den Wunsch, ihm etwas Freundliches zu sagen, aber da redete er auch schon weiter.
»Dieser Fluss hat exzellente Flusskrebse, die werden Ihnen schmecken. Für den Jungen haben wir nur Reisbrei und Suppe. Bis das Essen fertig ist, sollten Sie schlafen, ich kümmere mich solange um den Kleinen.«
»Nirina«, verbesserte ihn Paula und reichte ihm den Jungen.
»Nirina«, wiederholte Villeneuve und lief zusammen mit Morten zu Noria. Paula sah ihnen nach und wünschte, Lázló wäre auch bei ihnen. Aber Lázló war tot.
28
Gold läutert man im Feuer, Menschen im Leide
I ch muss aufpassen, dass mich dieses Frauenzimmer nicht in den Wahnsinn treibt. Zuerst konnte ich ihr gleichgültig begegnen, ich fand sie ein wenig seltsam für eine Frau und raffiniert, aber sonst ließ sie mich im Innersten kalt. Doch je länger ich mit ihr zusammen sein muss, desto mehr ändert sich das. Es begann damit, dass sie vorgab, den gleichen Plan zu haben wie ich, was mich tief in meinem Inneren getroffen hat. Denn ihr Plan entspringt einer Lüge, meiner jedoch der reinen Wahrheit. Und nicht nur das, ihr Plan ist vielmehr die pure Verhöhnung des meinigen und dessen, was ich alles auf mich genommen habe, um ihn zu vollenden. Unterdessen plappert sie munter von Dingen, von denen sie keine Ahnung hat.
Das bringt mich zum Kochen, meine Rachegelüste verlagern sich von einer Toten auf eine Lebende. Und das darf nicht sein, denn es ist sehr schlecht, wenn ich wütend werde, es kann tödlich enden für die Menschen, die mich wütend machen.
Und es macht mich sehr wütend, zu sehen, wie sie mit allem davonkommt. Sie erschleicht sich die Gunst der Königin, sie drängt uns dieses Kind auf, das uns alle in Gefahr bringt, und jetzt hat sie Lázló umgebracht. Lázló war in ganz ausgezeichneter Verfassung, als er mit ihr losgezogen ist, und da sollen ihn ein paar lächerliche Spinnen außer Gefecht gesetzt haben? Ja, was denn noch alles? Etwas an dieser Frau ist geradezu widernatürlich. Wer stirbt als Nächstes?
Es ist doch unfassbar, dass sie Norias Geliebten umbringt und die auch noch seltsam zufrieden ist mit Madame Kellermanns mehr als dürftiger Erklärung. Was soll das überhaupt heißen, die Spinnen beerdigten seinen Leichnam? Dass sie ihn fraßen? Davon habe ich noch nie gehört. Menschenfressende Spinnen, das ist mit Abstand das Lächerlichste, was die Madame uns jemals aufgetischt hat.
Lange halte ich das nicht mehr durch, aber ich muss und ich will, denn ich habe ein Ziel, von dem mich keiner mehr abbringt. Ich werde mich nicht so davonstehlen, wie es mein Vater getan hat. Nein, ich werde nicht aufgeben, diesmal werde ich es zu Ende bringen, und deshalb werde ich mit allen Mitteln verhindern, dass sie mich in den Wahnsinn treibt.
29
Opoponax
Dieses Gummiharz ist der an der Luft eingetrocknete Milchsaft von Pastinaca Opoponax Willd. Im Handel erhält man das Opoponax in unregelmäßigen, rotgelben oder braunen Körnern oder Klumpen von stark eigentümlichem Geruch und bitter aromatischem Geschmack.
W ir können das nicht tun. Nicht schon wieder.«
Noria presste ihre Lippen zusammen und stocherte in ihrem Reis herum. Morten, Villeneuve und Paula, die Nirina auf ihrem Arm fütterte, saßen mit Noria um das kleine Kochfeuer und musterten sie fragend.
»Müssen wir in diese Richtung oder nicht?« Villeneuve zeigte mit der Hand über den Fluss, Richtung Osten.
Noria nickte. »Ja, aber wir umgehen diesen Fluss. Das haben wir doch schon besprochen.«
Paula sah ihre Reisegefährten an, und dann wurde ihr klar, dass niemand von ihnen aus Sorge um sie und Lázló hiergeblieben war. Einzig und allein dieser Fluss hatte sie zu einer Pause gezwungen.
»Umgehen – noch dazu ohne Träger?« Paula sah von Nirina mit leichtem Schaudern zu ihren Füßen, die immer noch sehr viel Ähnlichkeit mit rohen Fleischstücken hatten.
Weil sie keine Sandalen besaß, lief sie in Strümpfen herum, aber jedes Mal, wenn sie sich hinsetzte, zog sie die Strümpfe aus, damit Luft an ihre Füße gelangen konnte.
»Umgehen, warum denn das?«, wiederholte sie.
»Es ist ein Krokodilfluss. Und der ist Fady.«
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