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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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bewundere Euer Wissen.«
    »Ich könnte Euch noch mehr sagen. Wenn in England jemand von einem Hund gebissen wird, tötet man den Hund, auch wenn er nicht tollwütig ist. Denn er könnte es ja noch werden, und dann würden die Keime der Tollwut, die im Leib des Gebissenen zurückgeblieben sind, die Geister der Hydrophobia anziehen. Habt Ihr je gesehen, was die Bäuerinnen tun, wenn sie Milch überm Feuer vergießen? Sie werfen sofort eine Handvoll Salz hinterher. Große Weisheit des einfachen Volkes! Denn wenn die Milch auf die glühenden Kohlen kommt, wird sie zu Dampf, und durch die Wirkung des Lichts und der Luft verbreitet sich dieser Dampf, begleitet von Feuer-Atomen, bis zu dem Ort, wo sich die Kuh befindet, welche die Milch gegeben hat. Nun ist das Euter der Kuh ein glandulöses und sehr delikates Organ, und jene Feuer-Atome erhitzen es, lassen es hart werden, rufen Schwären darauf hervor, und da sich das Euter nahe der Blase befindet, wird auch sie in Mitleidenschaft gezogen, indem es zur Anastomose der Adern kommt, die dort zusammenfließen, so dass die Kuh am Ende Blut pisst.«
    Darauf Roberto: »Der Ritter hatte von diesem Unguentum armarium als einem für die Medizin nützlichen Mittel gesprochen, aber Ihr gebt uns zu verstehen, dass es auch benutzt werden könnte, um jemandem wehzutun.«
    »Gewiss, und das ist der Grund, warum manches Geheimnis vor der großen Masse verhüllt bleiben muss, damit kein übler Gebrauch davon gemacht wird. O ja, mein Herr, der Disput über das Unguentum oder Pulver oder das, was wir Engländer Weapon Salve nennen, ist reich an Kontroversen. Der Ritter hat von einer Waffe gesprochen, die, wenn sie richtig behandelt wird, beim Verwundeten Erleichterung bewirkt. Aber nehmt dieselbe Waffe und legt sie neben ein Feuer, und der Verwundete, auch wenn er meilenweit entfernt ist, wird aufheulen vor Schmerz. Und wenn Ihr die mit seinem Blut befleckte Klinge in Eiswasser taucht, wird der Verwundete erschauern.«
    Dem Anschein nach hatte jene Unterhaltung nichts ergeben, was Roberto nicht schon wusste, einschließlich der Tatsache, dass Doktor Byrd über das sympathetische Pulver sehr gut im Bilde war. Aber die Ausführungen des Doktors hatten sich doch ein bisschen zu viel um die negativen Wirkungen des Pulvers gedreht, und das konnte kein Zufall sein. Was freilich das alles mit dem Meridianbogen zu tun haben sollte, blieb noch ein Rätsel.
     
    Bis eines Morgens, den Umstand nutzend, dass ein Matrose von einer Rahe gefallen war und sich den Schädel gebrochen hatte, weshalb Tumult an Deck herrschte und der Doktor zu dem Verunglückten gerufen wurde, Roberto in den Kielraum geschlüpft war.
    Tastend hatte er den richtigen Weg gefunden. Vielleicht war es Glück gewesen, vielleicht hatte das Tier an jenem Morgen lauter als sonst gewinselt: Roberto fand sich, mehr oder weniger da, wo er auf der Daphne später die Branntweinfässchen entdecken sollte, vor einem grässlichen Anblick.
    Gut geschützt vor neugierigen Augen, in einer nach seinen Maßen gezimmerten Kiste, auf einer Schicht Lumpen, lag ein Hund.
    Vielleicht war es einmal ein Rassehund gewesen, aber das Leiden und die Entbehrungen hatten ihn zu einer Kreatur aus Haut und Knochen reduziert. Dabei zeigten seine Peiniger sich bemüht, ihn am Leben zu halten: Sie hatten ihn reichlich mit Futter und Wasser versorgt, auch mit menschlicher Nahrung, die sie gewiss den Passagieren entzogen hatten.
    Er lag auf der Seite, mit flach hingestrecktem Kopf und heraushängender Zunge. An seiner Flanke klaffte eine schreckliche Wunde. Frisch und brandig zugleich, wies sie zwei breite rosige Ränder auf und in der Mitte, über die ganze Länge des Schnittes, eine eiternde Seele, die Quark auszuscheiden schien. Und Roberto begriff, dass die Wunde sich deshalb so präsentierte, weil die Hand eines Wundarztes, anstatt ihre Ränder zu vernähen, dafür gesorgt hatte, dass sie offen und klaffend blieben, indem er sie an die Haut genäht hatte.
    Ein Bastard der medizinischen Kunst, war diese Wunde also nicht nur geschlagen, sondern erbarmungslos so behandelt worden, dass sie nicht verheilen konnte und der Hund weiter an ihr litt – wer weiß, seit wann. Und damit nicht genug, Roberto entdeckte auch rings um die Wunde und in ihr Spuren einer kristallinen Substanz, als hätte ein Arzt (was für ein grausam geschickter Arzt!) jeden Tag ein Reizsalz hineingestreut.
    Ohnmächtig streichelte Roberto das arme Tier, das jetzt leise wimmerte. Er überlegte, wie

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