Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
hatte, war es zu einem Ballett von vier Thronprätendenten gekommen, sekundiert von ihren Agenten und Protektoren. Sieger war der Marquis von Saint-Charmont geworden, der dem Sterbenden hatte einreden können, dass die Erbschaft einem Vetter vom französischen Zweig gebühre, dem Herzog von Nevers, Charles de Gonzaga. In den letzten Zügen liegend, veranlasste oder erlaubteder alte Vincenzo, dass dieser Charles in großer Eile seine Nichte Maria Gonzaga ehelichte, und sterbend vererbte er ihm das Herzogtum.
Nun war jedoch dieser Nevers ein Franzose, und das Herzogtum, das er geerbt hatte, umfasste auch die Markgrafschaft Monferrat mit ihrer Hauptstadt Casale, der bedeutendsten Festung in Oberitalien. Zwischen dem spanisch beherrschten Mailand und den Ländereien der Savoyer gelegen, erlaubte es die Kontrolle des oberen Po, der Transitwege von den Alpen nach Süden einschließlich der Straße von Mailand nach Genua, und wie ein Pufferkissen schob es sich zwischen Frankreich und Spanien – während keine der beiden Mächte sich auf jenes andere Pufferkissen verlassen konnte, welches das Herzogtum von Savoyen darstellte, in dem Carlo Emanuele I. ein Spiel zu spielen beliebte, das doppelt zu nennen großmütig wäre. Wenn das Monferrat an Nevers fallen würde, wäre es so, wie wenn es an Richelieu fallen würde; kein Wunder also, dass Spanien es lieber an jemand anderen fallen sähe, zum Beispiel an den Herzog von Guastalla. Außerdem hatte auch der Herzog von Savoyen einen gewissen Anspruch auf das Erbe. Da jedoch ein Testament vorlag und eindeutig den Nevers als Erben benannte, blieb den anderen Prätendenten nur noch die Hoffnung, dass der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, der formell der Lehnsherr des Herzogs von Mantua war, die Erbfolge nicht genehmigte.
Aber die Spanier waren ungeduldig, und in der Erwartung, dass der Kaiser eine Entscheidung treffe, war Casale schon einmal belagert worden, damals von Gonzalo de Córdoba, und nun wurde es erneut belagert, diesmal von einer imposanten Armee aus Spaniern und Kaiserlichen unter dem Befehl des erfahrenen Generals Ambrogio Spinola. Die französische Garnison rüstete sich zum Widerstand in Erwartung einer französischen Entsatzarmee, die allerdings noch im Norden beschäftigt war, so dass Gott allein wusste, ob sie rechtzeitig eintreffen würde.
Dies war, mehr oder minder, der Stand der Dinge, als der alte Pozzo etwa Mitte April die jüngsten Mitglieder seiner Familie und die aufgewecktesten seiner Bauern vor dem Schlossversammelte, sämtliche auf dem Gut vorhandenen Waffen unter ihnen verteilte, seinen Sohn Roberto rief und vor allen die folgende Rede hielt, die er sich während der Nacht zurechtgelegt haben musste: »Leute, hergehört. Dies unser Landgut La Griva hat seinen Tribut seit jeher dem Marchese von Monferrat entrichtet, was seit einiger Zeit so ist, als wenn's der Herzog von Mantua wäre, der nun dieser Herr von Nevers geworden ist, und wer mir jetzt kommt und sagt, dass der Nevers weder ein Mantuaner noch ein Monferriner ist, der kriegt von mir einen Tritt in den Hintern, alldieweil ihr allesamt ignorante Lackel seid, die von diesen Dingen kein' Deut verstehn, also seid lieber still und lasst euern Herrn machen, der wenigstens noch weiß, was Ehre ist. Alldieweil euch aber die Ehre einen feuchten Dreck wert ist, müsst ihr wissen, dass, wenn die Kaiserlichen in Casale einrücken, die fackeln nicht lange, eure Weinstöcke gehn zugrunde, und von euren Frauen wolln wir lieber nicht reden. Drum auf zur Verteidigung von Casale! Ich zwinge niemanden. Gibt's unter euch einen elenden Nichtsnutz, der andrer Meinung ist, soll er's sagen, dass ich ihn aufhäng' dorten an jener Eiche.« Keiner der Anwesenden konnte schon die Radierungen von Callot kennen, auf denen man Trauben von Leuten wie sie an den Ästen anderer Eichen hängen sieht, aber es musste etwas in der Luft liegen: Alle schwenkten ihre Musketen oder Piken oder Knüppel mit oben drangebundenen Sicheln und riefen: »Vivat Casale! Nieder mit den Kaiserlichen!« Wie ein Mann.
»Mein Sohn«, sprach der alte Pozzo zu Roberto, während sie durch das Hügelland ritten an der Spitze ihres kleinen Heeres, das ihnen zu Fuß folgte, »dieser Nevers ist keins meiner Eier wert, und Don Vincenzo, als der ihm sein Herzogtum vermacht hat, hat außer dem Schwanz auch den Grips nicht mehr hochgekriegt, den er freilich auch vorher nicht hochgekriegt hatte. Aber er hat's nun mal dem Nevers
Weitere Kostenlose Bücher