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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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lassen!
     
    Und plötzlich merkte er, dass er die Klippen in der Nähe des Ufers nicht mehr sah, was bedeutete, dass die Flut eingesetzt hatte. Und während er die Sonne vorher sehen konnte, ohneden Kopf heben zu müssen, stand sie jetzt hoch über ihm. Also waren seit dem Eintauchen der Glocke nicht Minuten, sondern Stunden vergangen.
    Er musste sich diese Wahrheit laut wiederholen, um sie glauben zu können. Er hatte als Sekunden gezählt, was Minuten gewesen waren, er hatte geglaubt, eine verrückt gewordene Uhr in der Brust zu haben, die zu rasen begonnen hatte, und dabei hatte seine innere Uhr ihren Lauf verlangsamt. Seit wer weiß wann wartete er, immer im Glauben, Pater Caspar sei eben erst eingetaucht, auf eine Kreatur, der längst die Luft ausgegangen war. Seit wer weiß wann wartete er auf einen Körper, der leblos irgendwo in der Bucht lag.
    Was konnte passiert sein? Alles, alles, was er sich gedacht hatte – und was er vielleicht durch seine unglückbringende Angst selbst herbeigeführt hatte. Die hydrostatischen Prinzipien des Paters konnten illusorisch gewesen sein, vielleicht kommt das Wasser in eine Glocke genau von unten herein, zumal wenn der darin Befindliche die Luft mit den Füßen hinaustritt, was wusste Roberto schon wirklich vom Äquilibrium der Flüssigkeiten? Oder vielleicht war der Aufprall zu heftig gewesen und die Glocke war umgekippt. Oder Pater Caspar war gestolpert. Oder er hatte sich verirrt. Oder sein über siebzigjähriges Herz hatte, ungleich seinem Eifer, versagt. Und schließlich, wer weiß, ob nicht in jener Tiefe das Gewicht der Wassermassen die lederne Glocke zusammendrückt, wie man eine Zitrone auspresst oder eine Bohne aus der Hülse quetscht?
    Aber wenn er tot wäre, müsste dann nicht sein Körper nach oben kommen? Nein, er war ja noch an den Eisensohlen verankert, von denen sich seine schmächtigen Beine erst lösen würden, wenn die vereinte Wirkung des Wassers und vieler gefräßiger kleiner Fische ihn zu einem Skelett reduziert haben würde ...
     
    Dann plötzlich hatte Roberto eine strahlende Intuition. Was zermarterte er sich das Hirn? Natürlich, Pater Caspar hatte es ihm doch gesagt, die Insel, die er da vor sich liegen sah, war nicht die Insel von heute, sondern die von gestern. Jenseits des Meridians war noch der vorige Tag! Konnte man erwarten, auf jenem Strand dort, der ja noch gestern war, jemandenauftauchen zu sehen, der heute ins Wasser gestiegen war? Natürlich nicht! Der Alte war am Montag Morgen eingetaucht, aber wenn es auf der Daphne Montag war, dann war es auf der Insel dort drüben noch Sonntag, und folglich würde Roberto den Alten erst am Morgen seines Morgen dort auftauchen sehen, wenn es auf der Insel Montag geworden sein würde ...
    Ich muss bis morgen warten, sagte er sich. Und dann: Aber der Pater kann nicht einen Tag warten, die Luft reicht nicht aus! Und dann wieder: Aber nur ich bin es, der einen Tag warten muss, der Pater ist einfach in den Sonntag zurückgegangen, als er die Meridianlinie überschritten hatte. Mein Gott, aber dann ist die Insel, die ich sehe, die von Sonntag, und wenn er am Sonntag dort angelangt ist, müsste ich ihn doch schon sehen! Nein, alles falsch. Die Insel, die ich sehe, ist die von heute, es ist unmöglich, dass ich die Vergangenheit sehe wie in einer magischen Kugel. Nur dort auf der Insel ist es gestern, nur dort. Aber wenn ich die Insel von heute sehe, müsste ich ihn dort sehen, ihn, der im Gestern der Insel angelangt ist und nun einen zweiten Sonntag lebt ... Und der übrigens, ob nun gestern oder heute, seine aufgeschlitzte Glocke am Strand hätte zurücklassen müssen, aber ich sehe sie nicht. Aber könnte er sie nicht auch in den Wald mitgenommen haben? Wann? Gestern. Also noch einmal: Was ich sehe, ist die Insel von Sonntag. Also muss ich bis morgen warten, um ihn zu sehen, wie er am Montag dort ankommt ...
    Wir könnten sagen, dass Roberto endgültig den Verstand verloren hatte, und nicht ohne Grund, denn wie er auch rechnen mochte, es wäre nicht aufgegangen. Die Paradoxe der Zeit bringen auch uns um den Verstand. Daher war es normal, dass er nicht mehr wusste, was er tun sollte – und so begnügte er sich damit zu tun, was jeder, zumindest als Opfer der eigenen Hoffnung, getan hätte: Ehe man sich der Verzweiflung anheimgibt, wartet man lieber erst noch auf den folgenden Tag.
    Wie er das tat, lässt sich schwer rekonstruieren. Indem er auf Deck hin und her ging, indem er keine Speise anrührte,

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