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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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mutigen Angriff sprechen wird? Habt Ihr nicht eben erst eine Kriegsmaschine gesehen, die bereitsteht, den Ausgang dieser Belagerung durchschlagender zu entscheiden, als es früher die Schwerter vermochten? Und ist es nicht schon viele Jahre her, dass die Schwerter den Arkebusen Platz gemacht haben? Gewiss, wir tragen noch den Brustharnisch, aber jeder Pikaro kann in einem Tag lernen, den Harnisch des großen Baiardo zu durchstoßen.«
    »Aber was ist dann dem Edelmann noch geblieben?«
    »Die Weisheit, die klug abwägende Überlegung, Signor de La Grive. Der Erfolg hat nicht mehr die Farbe der Sonne, aber er wächst im Lichte des Mondes, und niemand hat je gesagt, dass dieses zweite Himmelslicht dem Schöpfer aller Dinge unlieb wäre. Selbst Jesus hat abgewogen, nachts im Garten Gethsemane.«
    »Aber dann hat er eine Entscheidung nach der heroischsten aller Tugenden getroffen, und ohne Weltklugheit ...«
    »Aber wir sind nicht der Erstgeborene des Ewigen, wir sind die Kinder des Säkulums. Wenn diese Belagerung vorbei ist und Ihr nicht durch eine Maschine ums Leben gekommen seid, was werdet Ihr dann tun, Signor de La Grive? Werdet Ihr vielleicht auf Euer Land zurückkehren, wo Euch niemand Gelegenheit geben wird, Euch als EuresVaters würdig zu erweisen? Seit wenigen Tagen erst bewegt Ihr Euch zwischen Pariser Herren, und doch zeigt Ihr Euch bereits überwältigt von ihren Sitten. Ihr werdet Euer Glück in der großen Stadt suchen wollen, aber seid Euch darüber im Klaren: dort werdet Ihr jenen Nimbus von Stolz einsetzen müssen, den Euch die lange Untätigkeit in diesen Mauern gewährt haben wird. Auch Ihr werdet nach dem Glück streben, und Ihr werdet geschickt sein müssen, um es zu bekommen. Wenn Ihr hier gelernt habt, einer Musketenkugel auszuweichen, werdet Ihr dort lernen müssen, dem Neid, der Eifersucht und der Habgier auszuweichen, indem Ihr die gleichen Waffen benutzt wie Eure Gegner, das heißt wie alle. Also hört mir zu. Vorhin habt Ihr mich unterbrochen und mir gesagt, was Ihr denkt, und im Ton einer Frage habt Ihr mir bedeuten wollen, dass ich mich irrte. Tut das nie wieder, schon gar nicht, wenn Ihr mit Mächtigen redet. Es mag Euch ankommen, im Vertrauen auf Eure Überzeugungskraft und im Gefühl, die Wahrheit bezeugen zu müssen, einem Höhergestellten einen guten Rat zu geben. Tut das nie. Jeder Sieg erzeugt Hass im Besiegten, aber den eigenen Herrn besiegen zu wollen ist entweder dumm oder zeugt von tragischer Blindheit. Die Fürsten wollen, dass man ihnen hilft, aber nicht, dass man sie übertrifft. Doch seid auch klug im Umgang mit Euresgleichen. Demütigt sie nicht mit Euren Tugenden. Sprecht nie von Euch selbst, denn entweder Ihr würdet Euch loben, was eitel wäre, oder Ihr würdet Euch schmähen, was dumm wäre. Lasst lieber zu, dass die andern ein paar verzeihliche Fehler bei Euch entdecken, an denen ihr Neid sich dann gütlich tun kann, ohne Euch zu sehr zu schaden. Ihr müsst viel sein und manchmal wenig scheinen. Der Strauß ist nicht bestrebt, sich in die Luft zu erheben, um sich einem beispielhaften Fall auszusetzen: Er gibt die Schönheit seiner Federn nur nach und nach preis. Und vor allem, wenn Ihr je Leidenschaften habt, zeigt sie niemals, so nobel sie Euch auch erscheinen mögen. Man darf nicht jeden in sein Herz blicken lassen. Ein kluges und vorsichtiges Schweigen ist das Gefäß der Weisheit.«
    »Aber, mein Herr, damit sagt Ihr mir doch, die erste Pflicht eines Edelmannes sei, simulieren zu lernen!«
    Lächelnd griff Signor della Saletta ein: »Lieber Roberto, Señor de Salazar sagt nicht, dass der Weise simulieren müsse. Im Gegenteil, er legt Euch vielmehr nahe, wenn ich ihn recht verstanden habe, dass der Weise lernen sollte zu dissimulieren, im Sinne von sich verstellen, sich nichts anmerken lassen. Man simuliert, was man nicht ist, man dissimuliert oder verhehlt, was man ist. Wenn Ihr Euch einer Tat rühmt, die Ihr nicht getan habt, seid Ihr ein Simulant. Wenn Ihr aber vermeidet, ohne es durchblicken zu lassen, Eure Taten restlos offenzulegen, dann dissimuliert Ihr. Es ist Tugend über der Tugend, die Tugend zu dissimulieren. Herr de Salazar lehrt Euch, auf eine kluge Art tugendhaft zu sein oder tugendhaft nach Maßgabe der Klugheit. Als der erste Mensch die Augen auftat und erkannte, dass er nackt war, verbarg er sich sogar vor dem Blick seines Schöpfers: So entstand die Sorgfalt im Verbergen fast gleichzeitig mit der Welt. Dissimulieren heißt einen Schleier aus

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