Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages
ehrlicher Dunkelheit ausbreiten, hinter dem man nicht das Falsche formt, sondern dem Wahren ein wenig Ruhe gibt. Die Rose erscheint uns schön, weil sie uns auf den ersten Blick verhehlt, dass sie so hinfällig ist, und obwohl man von sterblicher Schönheit gewöhnlich sagt, dass sie überirdisch sei, ist sie doch nichts anderes als ein Kadaver, den die Gunst des Alters noch verhüllt. Man darf in diesem Leben nicht immer offenherzig sein, und die Wahrheiten, die uns am meisten bedeuten, dürfen immer nur halb gesagt werden. Dissimulierung ist nicht Betrug. Sie ist eine Technik, die Dinge nicht so sehen zu lassen, wie sie sind. Und sie ist eine schwierige Technik: Um darin trefflich zu sein, dürfen die anderen unsere Trefflichkeit nicht bemerken. Wenn jemand berühmt würde für seine Fähigkeit, sich zu verstellen, wie die Schauspieler, so wüssten alle, dass er nicht ist, was er zu sein vorgibt. Aber von trefflichen Dissimulanten, die es durchaus gegeben hat und gibt, hört man nichts.«
»Und wohlgemerkt«, fügte Herr de Salazar hinzu, »dissimulieren heißt nicht stumm bleiben wie ein Ochse. Im Gegenteil. Ihr müsst lernen, mit spitzem Wort zu erreichen, was Ihr mit dem offenen Wort nicht bekommt; Euch in einer Welt zu bewegen, die den Schein privilegiert, mit allen Finessen der Eloquenz, um seidene Worte zu wirken. Wie Pfeile den Leib, so können Worte die Seele durchbohren. LasstNatur in Euch werden, was mechanische Kunst in Pater Emanueles Maschine ist.«
»Aber mein Herr«, sagte Roberto, »Pater Emanueles Maschine scheint mir ein Bild des Geistes zu sein, dem es nicht darum geht, zu schlagen oder zu verführen, sondern Zusammenhänge zwischen den Dingen zu finden und aufzudecken, also ein neues Werkzeug der Wahrheit zu werden.«
»Das gilt für die Philosophen. Bei den Dummen dagegen heißt es: Benutzt den Geist, um zu verblüffen, und Ihr werdet Zustimmung finden. Die Menschen lieben es, verblüfft zu werden. Wenn Euer Schicksal und Euer Glück sich nicht auf dem Schlachtfeld entscheiden, sondern in den Salons bei Hofe, wird Euch ein guter Punkt im Gespräch mehr einbringen als ein guter Sturmangriff in der Schlacht. Der kluge Mann zieht sich mit einem eleganten Satz aus jeder Verlegenheit, und er weiß die Zunge mit der Leichtigkeit einer Feder zu führen. Das meiste kann man mit Worten bezahlen.«
»Ihr werdet am Tor erwartet, Salazar«, sagte Saletta. Und so endete für Roberto jene unerwartete Lektion über das Leben und die Weltklugheit. Er war nicht erbaut von ihr, aber er war seinen beiden Lehrern dankbar. Sie hatten ihm viele Mysterien der Welt erklärt, von denen ihm auf La Griva nie jemand etwas gesagt hatte.
12
DIE LEIDENSCHAFTEN DER SEELE
I n diesem Zusammenbruch aller Illusionen fiel Roberto einer Liebestollheit anheim.
Es war inzwischen Ende Juni und sehr heiß geworden; vor etwa zehn Tagen waren die ersten Gerüchte über einen Pestfall im spanischen Lager aufgekommen. In der Stadt begann die Munition knapp zu werden, an die Soldaten wurden nur noch pro Mann und Tag vierzehn Unzen Schwarzbrot verteilt, und um ein Pint Wein von den Casalern zu bekommen, musste man drei Florin bezahlen, was so viel war wie zwölf Real. Abwechselnd waren die Herren Salazar in die Stadt und Saletta ins Lager gegangen, um den Austausch der bei den Zusammenstößen gefangengenommenen Offiziere auszuhandeln, und die Ausgetauschten mussten sich verpflichten, nicht wieder zu den Waffen zu greifen. Man sprach erneut von jenem Hauptmann, der nun in der diplomatischen Welt Karriere machte, Mazzarini, den der Papst mit den Verhandlungen betraut hatte.
Ein paar Hoffnungen, ein paar Ausfälle, ein Wechselspiel von Versuchen, die gegnerischen Minengänge zu zerstören: So verlief jene träge Belagerung.
Das Warten auf Verhandlungen, oder auf die Entsatzarmee, hatte die kriegerischen Gemüter ruhiggestellt. Einige Casaler hatten beschlossen, sich hinauszuwagen, um die wenigen noch nicht von Wagen und Pferden zerstörten Weizenfelder abzuernten, ungeachtet der müden Büchsenschüsse, mit denen die Spanier sie aus der Ferne bedachten. Aber nicht alle waren unbewaffnet: Roberto sah eine hochgewachsene rotblonde Bäuerin, die ab und zu ihr Sicheln unterbrach, sich zwischen die Ähren bückte, eine Muskete hervorzog, sie wie ein alter Soldat anlegte, den Kolben an die gerötete Wange gepresst, und in Richtung der Störer schoss.
Die Spanier, verärgert über die Schüsse dieser kriegerischen Erntegöttin,
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