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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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entzündet; und was ist Sehen anderes als der Zugang zu einem Licht, das vom betrachteten Körper zurückgestrahlt wird? Indem ich ihn sehe, wird mein Körper vom besten Teil des geliebten Körpers durchdrungen, von seinem luftigsten Teil, der durch den Kanal der Augen direkt zum Herzen gelangt. Und darum ist Liebe auf den ersten Blick so viel wie ein Trinken der Geister, die aus dem Herzen der Geliebtenkommen. Als der große Baumeister der Natur unseren Körper schuf, setzte er innere Geister als Schildwachen hinein, auf dass sie ihre Entdeckungen ihrem General vermelden, das heißt der Einbildungskraft, welche gleichsam die Gebieterin der Körperfamilie ist. Wenn sie von einem Gegenstande betroffen ist, geschieht das Gleiche, was vorgeht, wenn wir Geigen spielen hören, die uns ihre Melodien ins Gedächtnis träufeln, so dass wir sie selbst noch im Schlafe hören. Unsere Einbildungskraft erzeugt sich ein Abbild, das den Liebenden entzückt, mag es ihn auch nicht zerreißen, weil es eben nur ein Abbild ist. Daher kommt es, dass, wenn ein Mensch vom Anblick der liebenswerten Person überrascht ist, er die Farbe wechselt, errötet oder erblasst, je nachdem, ob jene dienstbaren Geister, die seine inneren Schildwachen sind, geschwind oder langsam zu dem betreffenden Gegenstand gehen, um dann wieder zur Einbildungskraft zurückzukehren. Indes gehen diese Geister nicht nur zum Gehirn, sondern direkt zum Herzen durch jenen großen Gang, durch welchen die Lebensgeister vom Herzen zum Gehirn aufsteigen, wo sie zu animalischen Geistern werden; und durch ebendiesen Gang schickt die Einbildungskraft einen Teil der Atome, die sie von einem äußeren Gegenstande empfangen hat, zum Herzen, und ebendiese Atome sind es, die jenes Aufwallen der Lebensgeister erzeugen, welches manchmal das Herz erweitert und manchmal das Herz zerspringen lässt.«
    »Ihr sagt uns, Monsieur, dass die Liebe wie eine physische Bewegung vorgeht, nicht anders als jene, die den Wein zum Blühen bringt. Aber Ihr sagt uns nicht, wie es kommt, dass die Liebe im Unterschied zu anderen Phänomenen der Materie eine selektive Kraft ist, die eine Wahl trifft. Aus welchem Grunde also macht uns die Liebe zu Sklaven des einen und nicht des anderen Geschöpfes?«
    »Ebendeswegen habe ich die Kraft der Liebe auf dasselbe Prinzip zurückgeführt, nach welchem auch das sympathetische Pulver funktioniert, nämlich dass gleichartige Atome von gleicher Form einander anziehen! Würde ich dieses Pulver auf die Waffe streuen, die den Pylades verwundet hat, so würde ich des Orestes Wunde nicht heilen. Daher vereint die Liebe nur zwei Wesen, die bereits in gewisser Weise von gleicher Natur sind, einen edlen Geist mit einem ebenso edlenGeist und einen rohen Geist mit einem ebenso rohen Geist – denn auch die Bauern lieben, genau wie die Schäferinnen, und das lehrt uns gerade die wunderbare Geschichte des Herrn d'Urfé. Die Liebe offenbart einen Gleichklang zwischen zwei Geschöpfen, der schon seit Anbeginn der Zeiten vorgesehen war, so wie das Schicksal seit jeher beschlossen hatte, dass Pyramus und Thisbe vereint sein sollten in einem einzigen Maulbeerbaum.«
    »Und die unglückliche Liebe?«
    »Ich glaube nicht, dass es eine unglückliche Liebe wirklich gibt. Es gibt nur Liebe, die noch nicht zu vollkommener Reife gelangt ist, bei der die Geliebte aus irgendeinem Grunde noch nicht die Botschaft empfangen hat, die aus den Augen des Liebenden zu ihr kommt. Und doch weiß der Liebende so gut, welche Naturgleichheit ihm enthüllt worden ist, dass er kraft dieses Glaubens warten kann, wenn nötig auch das ganze Leben lang. Er weiß, dass die Enthüllung für beide – und damit auch die Vereinigung – selbst nach dem Tode noch eintreten kann, wenn die Atome der beiden Körper, die in der Erde verwesen, verdunstet sind und sich in einem Himmel wieder vereinigen. Und vielleicht – so wie ein Verwundeter sich einer unverhofften Heilung erfreut, auch ohne zu wissen, dass jemand Pulver auf die Waffe streut, die seine Wunde schlug – vielleicht erfreuen sich jetzt wer weiß wie viele liebende Herzen einer unverhofften Gemütserleichterung, ohne zu wissen, dass ihr Glück das Werk des geliebten Herzens ist, welches, seinerseits liebend geworden, den Anstoß zur Vereinigung der Zwillings-Atome gegeben hat.«
    Ich will nicht behaupten, dass dieses komplexe Allegoriengebäude in jedem Punkt stichhaltig war, und vielleicht hätte Pater Emanueles Metaphernmaschine seine Instabilität

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