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Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages

Titel: Die Insel des vorigen Tages - Eco, U: Insel des vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Abwesenheiten, seine Verspätungen und seine verfrühten Aufbrüche zunutze gemacht und im richtigen Moment die Prämie für seine Rede über das sympathetische Pulver eingeheimst.
    Und während Roberto sich dergestalt sorgte und grämte, klopfte es an seine Tür. Hoffnung, Traum wacher Menschen! Er stürzte hin, um zu öffnen, überzeugt, Lilia vor sich zu sehen. Stattdessen war es ein Offizier der Wache des Kardinals mit zwei Mann im Gefolge.
    »Monsieur de La Grive, nehme ich an«, sagte der Offizier. Und nachdem er sich als Hauptmann de Bar vorgestellt hatte: »Es tut mir sehr leid, Euch das sagen zu müssen, Monsieur, aber Ihr seid verhaftet. Bitte übergebt mir Euren Degen. Wenn Ihr mir gutwillig folgt, werden wir wie zwei gute Freunde in die Kutsche steigen, die auf uns wartet, und Ihr habt keine Veranlassung, Euch zu schämen.« Er gab zu verstehen, dass er den Grund der Verhaftung nicht kenne und sich wünsche, dass es ein Missverständnis sei. Roberto folgte ihm wortlos, im Stillen denselben Wunsch formulierend, und am Ende der Fahrt, nachdem er mit vielen erneuten Entschuldigungeneinem verschlafenen Wächter übergeben worden war, fand er sich in einer Zelle der Bastille wieder.
    Dort verbrachte er zwei eiskalte Nächte, nur besucht von ein paar Ratten (nützliche Vorbereitung auf die Reise mit der Amarilli ) und von einem Wächter, der auf jede Frage antwortete, es seien schon so viele illustre Gäste an jenem Ort gewesen, dass er aufgehört habe, sich zu fragen, wieso sie kamen, und wenn da schon seit sieben Jahren ein so großer Herr wie der Marschall de Bassompierre einsitze, habe Roberto keine Veranlassung, sich schon nach ein paar Stunden zu beklagen.
    Nachdem man ihn zwei Tage lang vom Schlimmsten hatte kosten lassen, erschien am dritten Abend wieder der Hauptmann de Bar, gab ihm Gelegenheit, sich zu waschen, und teilte ihm mit, dass er vor dem Kardinal erscheinen müsse. So begriff Roberto nun wenigstens, dass er ein Staatsgefangener war.
     
    Der Abend war schon weit fortgeschritten, als sie den Palast erreichten, und schon die Bewegung am Portal ließ erraten, dass es ein besonderer Abend war. Auf den Stufen wimmelte es von Leuten jeden Standes, die hinauf- und hinabliefen; atemlos kamen Edel- und Kirchenmänner in einen Vorraum gestürzt, räusperten sich wohlerzogen vor den freskenbemalten Wänden, setzten leidende Mienen auf und traten in einen anderen Saal, aus welchem Amtsdiener kamen, die mit lauter Stimme nach unauffindbaren Knechten riefen und mit herrischen Gesten allseits Ruhe geboten.
    Auch Roberto wurde in jenen Saal geführt, und er sah nur die Rücken von Leuten, die sich in der Tür eines weiteren Raumes drängten, auf Zehenspitzen und lautlos, wie um ein trauriges Schauspiel zu sehen. Der Hauptmann blickte umher, als ob er jemanden suchte, dann bedeutete er Roberto, in einer Ecke zu warten, und ging hinaus.
    Ein anderer Wachmann, der sich abmühte, viele der Anwesenden hinauszukomplimentieren, mit unterschiedlich respektvollen Gesten je nach ihrem Rang, sah Roberto mit seinen Bartstoppeln und seinen von der Haft mitgenommenen Kleidern und fragte ihn barsch, was er da mache. Roberto sagte, er werde vom Kardinal erwartet, worauf der Wachmann erwiderte, zum Unglück aller werde der Kardinal von einem noch viel Höheren erwartet.
    Dennoch ließ er Roberto stehen, wo er war, und Schritt für Schritt, da der Hauptmann (inzwischen das einzige vertraute Gesicht, das ihm geblieben war) nicht wiederkam, näherte sich Roberto dem Gedränge der Rücken, schob sich langsam hinein und erreichte, ein bisschen wartend, ein bisschen drängelnd, schließlich die Schwelle des letzten Raumes.
    Dort, in einem Bett liegend, an einen Berg von Kissen gelehnt, sah und erkannte er den Schatten dessen, der von ganz Frankreich gefürchtet und von nur sehr wenigen geliebt wurde. Der große Kardinal war umgeben von schwarzgewandeten Ärzten, die sich mehr für ihre Debatte als für ihn zu interessieren schienen, ein Kleriker wischte ihm die Lippen ab, auf denen fiebriger Hustenauswurf einen rötlichen Schaum bildete, unter der Decke erriet man das mühsame Atmen eines verbrauchten Körpers, aus einem Hemdsärmel ragte eine Hand, die ein Kruzifix umklammert hielt. Plötzlich brach der Kleriker in ein Schluchzen aus. Richelieu drehte mühsam den Kopf, versuchte ein Lächeln und murmelte: »Ihr habt wohl geglaubt, ich sei unsterblich?«
    Während Roberto sich noch fragte, wer in aller Welt ihn ans Bett eines

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