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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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könnte, sie in seine Gewalt zu bringen, ohne es je zu schaffen?
    Er erinnerte sich, daß ein Philosoph ihm einmal gesagt hatte, Gott kenne die Welt besser als wir, da er sie geschaffen habe. Und um der Kenntnis Gottes wenigstens ein bißchen näher zu kommen, müsse man sich die Welt wie ein großes Gebäude vorstellen und versuchen, es nachzubauen. Das war’s, was Roberto tun mußte: Um die Daphne kennenzulernen, mußte er sie in Gedanken nachbauen.
    Er setzte sich also hin und zeichnete das Profil des Schiffes, wobei er sich sowohl am Bau der Amarilli orientierte wie an dem, was er bisher von der Daphne gesehen hatte. Also, da hätten wir, sagte er sich, hinten oben die Kajüten des Achterkastells und darunter den Raum des Steuermanns; hinter diesem, also noch auf der Höhe des Decks, den Aufenthaltsraum der Offiziere und darunter den Raum, durch den die Ruderpinne geht. Diese muß im Heck hinausgehen, und danach kann dort nichts mehr sein. Vorn haben wir im Vorderkastell die Kombüse, davor kommt der Bugspriet, der auf einem weiteren kleinen Aufbau ruht, in dem - wenn ich Robertos verlegene Umschreibungen richtig interpretiere - die Örtlichkeit sein mußte, in der man zu jener Zeit mit dem Hintern im Freien seine Notdurft verrichtete. Wenn man von der Kombüse hinunterstieg, gelangte man in die Speise- und Vorratskammer. Roberto hatte sie bis zum Vordersteven, bis zum Ansatz des Rammsporns untersucht, auch dort konnte nichts mehr sein.
    Darunter hatte er schon den Raum mit den Tauen und die Wunderkammer gefunden. Weiter ging es nicht.
    Man mußte also zurück, und dann kam man ins Unterdeck, wo die Vögel und Pflanzen waren. Wenn der Eindringling nicht nach Belieben eine Tier- oder Pflanzenform annahm, konnte er sich dort nicht verstecken. Im Heck unter der Ruderpinne lag der Raum mit den Uhren und dahinter der mit der Orgel.
    Auch dort stieß man an die Schiffswand.
    Wenn man noch weiter hinunterstieg, gelangte man in den Hauptteil des Lade- und Kielraums, wo die Vorräte, der Ballast und das Holz lagerten; Roberto hatte schon die Außenwände abgeklopft, um zu prüfen, ob es da nicht irgendwo einen Hohlraum gab. Die Bilge erlaubte keine weiteren Verstecke, wenn das Schiff normal gebaut war. Es sei denn, der Eindringling hockte außen am Kiel, unter Wasser, angeklebt wie ein Blutegel, und käme nachts an Bord gekrochen - aber von allen Erklärungen, und Roberto war bereit, viele zu erwägen, schien ihm diese die unwissenschaftlichste.
    Im Heck, ungefähr unter dem Raum mit der Orgel, lag das »Zwiebackmagazin« mit dem Teleskop in der Schale und den anderen Instrumenten. Als er es untersucht hatte, überlegte Roberto, hatte er nicht kontrolliert, ob dieser Raum wirklich bis zum Achtersteven ging; aber nach der Zeichnung, die er machte, konnte dort kein weiterer Raum mehr sein - sofern er die Heckrundung richtig gezeichnet hatte.
    Darunter blieb nur noch der blinde Gang, und daß hinter dem nichts mehr sein konnte, war gesichert.
    So hatte er nun das ganze Schiff zerlegt und wieder zusammengesetzt, und es blieb kein Platz mehr für noch ein Versteck. Schlußfolgerung: Der Eindringling hatte keinen festen Ort. Er bewegte sich umher, je nachdem, wie sich Roberto bewegte, er war wie die andere Seite des Mondes, von der wir zwar wissen, daß sie existiert, aber die wir nie zu sehen bekommen.
    Wer könnte die andere Seite des Mondes sehen? Ein Bewohner der Fixsterne. Roberto hätte nur zu warten brauchen, ohne sich von der Stelle zu rühren, und hätte das verborgene Gesicht überrascht.
    Solange er sich mit dem Eindringling, bewegte oder ihm gestattete, sich mit seinen Bewegungen nach ihm zu richten, würde er ihn nie zu sehen bekommen.
    Also mußte er Fixstern werden und den Eindringling zwingen, sich zu bewegen. Und da der Eindringling offensichtlich auf Deck war, wenn Roberto sich unter Deck aufhielt, und umgekehrt, mußte er ihn glauben machen, er sei unter Deck, um ihn dann auf Deck zu überraschen.
    Um ihn zu täuschen, ließ er ein Licht in der Kapitänskajüte brennen, so daß der Andere dachte, er wäre mit Schreiben beschäftigt. Dann versteckte er sich auf dem Vorderkastell, direkt hinter der Glocke, so daß er das Deck und das Achterkastell bis zur Hecklaterne vor sich sah und, wenn er sich umdrehte, das Vorschiff mit dem Bugspriet kontrollieren konnte. Er hatte die Büchse in Reichweite - und ich fürchte, auch das Branntweinfäßchen.
    Er horchte die ganze Nacht lang auf jedes Geräusch, als müßte

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