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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Mittag. Verstehst du? Errätst du anjetzo, warumb man die Insulae Salomonis so geheißen? Salomo sprach: Schneidet das Kind entzwey, Salomo sprach: Schneidet in zwey die Erde.«
    »Verstehe, wenn wir auf dem hundertachtzigsten Meridian sind, dann sind wir auf den Salomon-Inseln.
    Aber wer sagt uns, daß wir auf dem hundertachtzigsten Meridian sind?«
    »Ei, die Specula Melitensis! Auch wann alle meine vorher gemachten Demonstrationes nit würden genügen: daß der hundertundachtzigste Meridian exactament hier durchgehet, das hat mir die Specula bewiesen.« Er zog Roberto aufs Deck hinaus und deutete auf die Insel: »Siehest du das Promontorium dorten im Norden, wo die großen Bäume stehn mit den großen Füßen, so im Wasser zu wanderen scheinen? Und nun sieh das andere Promontorium dorten im Süden. Ziehstu eine Linea zwischen den beyden Promontoria, so siehest du, daß sie durchgeht hiero zwischen Schiff und Ufer, ein bissel näher beym Ufer als beym Schiffe ... Wohlan, nun siehe, diese geistige Linie - eine Linea spiritualis, die man mit den Augen der Einbildungskrafft sieht -, das ist die Linie des Meridians!«
    Am nächsten Tag sagte Pater Caspar, der nie aufgehört hatte, die Zeit zu messen, es sei Sonntag. Er feierte die heilige Messe in seiner Kajüte mit einem Stückchen der wenigen Hostien, die ihm noch verblieben waren. Dann nahm er seine Lektion wieder auf, zuerst in der Kajüte zwischen den Welt- und Seekarten, dann draußen auf Deck. Und als Roberto einwandte, er könne das Sonnenlicht nicht ertragen, holte er aus einer seiner diversen Laden eine Brille mit rußgeschwärzten Gläsern hervor, die er, wie er sagte, mit Erfolg benutzt habe, um den Krater eines Vulkans zu erkunden. So begann Roberto die Welt in zarteren Farben zu sehen, die ihm alles in allem sehr angenehm erschienen, und allmählich versöhnte er sich wieder mit der Strenge des Tages.
    Zum Verständnis des Folgenden muß ich einen Exkurs machen, auch um mich selbst zurechtzufinden.
    Pater Caspar war überzeugt, daß die Daphne zwischen dem 16. und 17. Grad südlicher Breite und auf dem 180. Längengrad lag. Was die Breite betrifft, so können wir ihm wohl vertrauen. Aber stellen wir uns einmal vor, er hätte auch die Länge richtig getroffen. Aus Robertos wirren Aufzeichnungen ist zu entnehmen, daß Pater Caspars Zählung der dreihundertsechzig Meridiane bei der Insel Hierro, der westlichsten der Kanarischen Inseln, beginnt, das heißt beim 18. Grad westlicher Länge von Greenwich, wie es die Tradition seit den Zeiten des Ptolemäus wollte. Wenn er also auf seinem 180. Meridian zu sein meinte, mußte er nach unserer Zählung auf dem 162. Grad östlicher Länge von Greenwich gewesen sein. Nun gruppieren sich die Salomonen tatsächlich um den 160. Grad östlicher Länge herum, allerdings zwischen dem 5. und 12. Grad südlicher Breite. Mithin hätte die Daphne sich zu weit im Süden befunden, irgendwo westlich der Neuen Hebriden, in einem Gebiet, in dem es nur Korallenbänke gibt, wie jene, die man später die Récifs d’Entrecasteaux genannt hat.
    Konnte Pater Caspar von einem anderen Längengrad aus gezählt haben? Ohne Zweifel. Wie Ende jenes Jahrhunderts der Kosmograph und Minoritenpater Coronelli in seinem Buch der Globen schreiben wird, legten den ersten Meridian »Eratosthenes an die Säulen des Herkules, Marinos von Tyros an die Inseln der Seligen, Ptolemäus folgte in seiner Geographie derselben Ansicht, doch in seinen Astronomischen Büchern verschob er ihn nach Alexandria in Ägypten. Von den Modernen legt ihn Ismael Abulfeda nach Cadiz, Alfonso nach Toledo, Pigafetta und Herrera haben desgleichen getan.
    Kopernikus legt ihn nach Fruemburgo; Reinhold nach Monte Reale oder Königsberg; Kepler nach Uranienborg; Longomontanus nach Kopenhagen; Lansbergius nach Goa; Riccioli nach Bologna. Die Atlanten von Iansonius und Blaeu nach Monte Pico. Um die Ordnung meiner Geographie fortzuführen, habe ich auf diesem Globus den Ersten Meridian auf den westlichsten Teil der Insel des Eisens gelegt, auch um dem Dekret Ludwigs XIII. zu folgen, welches ihn mit dem Rate der Geologen anno 1634
    ebendort festgesetzt hat.«
    Doch wenn Pater Caspar nun beschlossen hätte, das Dekret Ludwigs XIII. zu mißachten und seinen ersten Meridian, sagen wir, nach Bologna zu verlegen, dann wäre die Daphne irgendwo zwischen den östlichen Samoa-Inseln verankert gewesen. Aber dort haben die Eingeborenen keine dunkle Haut, wie er sie gesehen zu haben

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