Die Insel Des Vorigen Tages
mir, Bruder«, rief Roberto aufschluchzend. .»Ja, gehen wir hinauf, es ist nur gerecht, daß einer von uns beiden sterben muß.«
Was wollte Roberto? Sterben? Ferrante befreien, indem er ihn sterben ließ? Ferrante daran hindern, die Erlösung zu verhindern? Wir werden es nie erfahren, denn er wußte es selber nicht. Aber so sind eben Träume.
Sie gingen an Deck, Roberto suchte das Schwert und fand es (wir erinnern uns) zu einem Stumpf reduziert, doch er rief, Gott werde ihm Kraft geben und ein guter Fechter könne sich auch mit einer zerbrochenen Klinge schlagen.
Die beiden Brüder standen einander zum erstenmal gegenüber, um ihren letzten Kampf zu beginnen.
Der Himmel hatte sich entschlossen, diesem Brudermord zu sekundieren. Eine rötliche Wolke legte unversehens einen blutroten Schatten zwischen Schiff und Himmel, als habe dort oben jemand die Sonnenrosse geschlachtet. Dann brach ein gewaltiges Donnern und Blitzen los, gefolgt von Wolkenbrüchen, und Himmel und Meer taten sich zusammen, den beiden Duellanten die Sicht zu nehmen, das Gehör zu betäuben und die Hände mit eisigem Wasser zu überfluten.
Doch die beiden umtanzten einander zwischen den Blitzen, die rings um sie zuckten, attackierten einander mit Stößen und Seitenhieben, sprangen plötzlich zurück, klammerten sich an ein Tau, um fast fliegend einem Stich auszuweichen, warfen einander Schmähungen zu, skandierten jeden Ausfall mit Schreien, die sich in das Heulen und Toben des Sturmes mischten.
Auf jenen glitschigen Planken kämpfte Roberto dafür, daß Christus ans Kreuz geschlagen werden konnte, und dazu erbat er die Hilfe Gottes. Ferrante hingegen kämpfte, damit Christus nicht leiden müsse, und dazu rief er alle Teufel an.
Als er gerade den Teufel Astharoth anrief, geschah es, daß er - ein Eindringling, der sich nun auch in die Pläne der Vorsehung einmischte - ungewollt sich dem Möwenstoß darbot. Oder vielleicht hatte er’s auch gewollt, um jenem wirren Traum ein Ende zu machen.
Roberto täuschte einen Fall vor, Ferrante stürzte sich auf ihn, um ihn zu erledigen, Roberto stemmte sich mit der linken Hand hoch und stieß das Stummelschwert vor. Er war nicht so blitzschnell wieder auf den Beinen wie Saint-Savin, aber Ferrantes Schwung war so groß, daß er nicht ausweichen konnte, und so rannte er sich die Brust von selbst in den Schwertstumpf. Roberto ertrank beinahe im Blutschwall, der aus dem Mund seines sterbenden Feindes quoll.
Er spürte den Blutgeschmack im Mund, vermutlich hatte er sich im Delirium auf die Zunge gebissen. Jetzt schwamm er in jenem Blut, das sich vom Schiff zur Insel erstreckte; er wollte nicht weiterschwimmen aus Angst vor dem Steinfisch, doch er hatte nur den ersten Teil seiner Mission erfüllt, Christus wartete noch auf der Insel, um Sein Blut vergießen zu können, und Roberto war als einziger jünger übriggeblieben.
Was machte er nun in seinem Traum? Mit Ferrantes Degen schnitt er ein Segel in lange Streifen und verknüpfte sie miteinander; dann fing er die stärksten Reiher oder Schwäne im Unterdeck ein und band sie an den Füßen zusammen als Zugtiere seines fliegenden Teppichs.
Mit diesem Gefährt erhob er sich in die Luft und flog auf die nun erreichbare Insel. Unter der Specula Melltensis fand er das Skapulier und zerriß es. Kaum hatte er so der Zeit wieder Raum gegeben, sah er die Taube auf sich herniederkommen, und verzückt erblickte er sie nun endlich in ihrer ganzen Glorie.
Doch es war nur natürlich - ja übernatürlich -, daß sie ihm jetzt nicht mehr flammenrot, sondern blendendweiß erschien. Auch konnte es nun keine Taube mehr sein, denn der wird ja nicht nachgesagt, daß sie die Zweite Person der Dreieinigkeit repräsentiert, es war jetzt vielleicht ein Frommer Pelikan, wie es sich für den Filius gehört. Darum sah Roberto am Ende nicht ganz genau, welcher Vogel sich ihm als freundliches Vormarssegel für sein geflügeltes Schiff anbot.
Er wußte nur, daß sie himmelwärts flogen, und die Bilder folgten einander, wie die närrischen Hirngespinste es wollten. Sie segelten jetzt zu allen unendlich vielen Welten, zu jedem Planeten und jedem Stern, damit sich auf jedem von ihnen wie im Nu die Erlösung vollziehe.
Der erste Himmelskörper, auf dem sie landeten, war der weiße Mond in einer vom Mittag der Erde erhellten Nacht. Und die Erde stand über dem Horizont wie eine riesige, drohende, grenzenlose Polenta, die am Himmel brutzelte und ihm fast auf den Kopf zu fallen schien,
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