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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Schrecken ohne Ende zu fliehen.
    Oder nein, die einzige Realität der Insel war, daß in ihrer Mitte der Baum des Vergessens stand, dessen Früchte, einladend mit ihren zarten Farben, ihm endlich Frieden gewähren würden.
    Vergessen, das war’s: alles aus dem Gedächtnis tilgen. So verbrachte Roberto den Tag, scheinbar untätig, doch höchst aktiv im Bemühen, Tabula rasa zu werden. Und wie es geschieht, wenn man sich bemüht zu vergessen, je mehr er sich bemühte, desto lebhafter regte sich sein Gedächtnis.
    Er versuchte es mit allen Methoden, von denen er gehört hatte. Er stellte sich vor, er wäre in einem Raum voller Gegenstände, die ihn an etwas erinnerten, der Schleier seiner Dame, die Papiere, auf denen er sich ihr Bild vergegenwärtigt hatte, indem er ihre Abwesenheit beklagte, die Möbel und Tapisserien des Palastes, in dem er sie kennengelernt hatte, und er stellte sich vor, wie er all diese Dinge der Reihe nach aus dem Fenster warf, bis der Raum (und mit ihm sein Gedächtnis) nackt und leer war. Er vollführte Riesenanstrengungen, um mannshohe Vasen, Schränke, Sessel und Ritterrüstungen ans Fensterbrett zu schleppen, doch es half nichts, je länger er sich in diese Arbeit vertiefte, desto mehr vervielfachte sich die Gestalt der Signora und verfolgte seine Bemühungen aus verschiedenen Ecken mit einem maliziösen Lächeln.
    So verbrachte er den ganzen Tag damit, Gerätschaften herumzuschleppen, und nichts hatte er vergessen.
    Im Gegenteil. Er dachte an seine Vergangenheit, indem er die Augen auf die einzige Szene fixierte, die er vor sich hatte, nämlich die der Daphne , und die Daphne verwandelte sich in ein Theater der Erinnerung, wie man es zu seiner Zeit konzipierte, ein Theater, in dem ihn jede Einzelheit an eine frühere oder spätere Episode seiner Geschichte erinnerte: der Bugspriet an seine Ankunft nach dem Schiffbruch, als er begriffen hatte, daß er die Geliebte nie wiedersehen würde; die gerafften Segel, bei deren Anblick er lange von ihr geträumt hatte, Sie verloren , Sie verloren; die Galerie, von der aus er die ferne Insel erkundet hatte, die Ferne von Ihr ... Aber er hatte so oft an die Geliebte gedacht, daß ihm, solange er hier bleiben würde, jeder Winkel seines schwimmenden Hauses, Moment für Moment, an all das erinnern würde, was er vergessen wollte.
    Daß dem wirklich so war, merkte er, als er aufs Deck hinaustrat, um sich vom Wind ablenken zu lassen.
    Dies hier war sein Wald, in den er ging, wie die unglücklich Liebenden in den Wald gehen; hier hatte er seine künstliche Natur, die Pflanzen gehobelt von Zimmerleuten aus Antwerpen, die Flüsse aus grobem, im Winde flatternden Segeltuch, die Grotten kalfatert, die Sterne auf Astrolabien. Und wie der Liebende, wenn er an einen Ort seiner Liebe zurückkehrt, die Geliebte in jeder Blume wiedererkennt, in jedem Blätterrascheln und jedem Pfad, so wäre Roberto jetzt am liebsten vor Liebe gestorben, indem er die Mündung einer Kanone liebkoste ...
    Besingen die Dichter nicht ihre Damen, indem sie ihre Rubin-Lippen, ihre Kohlen-Augen, ihren marmornen Busen, ihr diamantenes Herz besingen? Wohlan, auch er würde von nun an - gefangen in jener Mine nunmehr fossiler Tannen - nur noch mineralische Leidenschaften haben, als messingberingte Taue würden ihm ihre Locken erscheinen, als Glanz von Beschlägen ihre vergessenen Augen, als Folge von Speigatts ihre von duftendem Speichel triefenden Zähne, als Ankerwinde ihr mit hanfenen Ketten geschmückter Hals, und er würde Frieden finden in der Vorstellung, das Werk eines Automatenbauers geliebt zu haben.
    Dann reute ihn seine Härte, mit der er sich ihre Härte vorgestellt hatte, er sagte sich, daß sein Begehren, wenn er ihre Züge Stein werden ließ, versteinerte - während er es doch lebendig und ungestillt haben wollte -, und da es inzwischen Abend geworden war, hob er die Augen zur weiten Mulde des Himmels, die mit unentzifferbaren Konstellationen gepunktet war. Nur beim Betrachten von Himmelskörpern würde er die himmlischen Gedanken denken können, die sich für den gehören, der durch himmlischen Ratschluß dazu verurteilt ist, das himmlischste aller menschlichen Geschöpfe zu lieben.
    Das Nachtgestirn, das weiß die Wälder und silbern die Felder beglänzt, war noch nicht aufgegangen über der Insel, deren Gipfel noch schwarz verhängt war, aber der übrige Himmel hatte sich schon entzündet, und im äußersten Südwesten, fast auf der Wasserlinie weit hinter dem großen

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