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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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erste Pflicht jedes Edelmannes sei, simulieren zu lernen!«
    Lächelnd griff Signor della Saletta ein: »Lieber Roberto, Senor de Salazar sagt nicht, daß der Weise simulieren müsse. Im Gegenteil, er legt Euch vielmehr nahe, wenn ich ihn recht verstanden habe, daß der Weise lernen sollte zu dissimulieren, im Sinne von sich verstellen, sich nichts anmerken lassen. Man simuliert, was man nicht ist, man dissimuliert oder verhehlt, was man ist. Wenn Ihr Euch einer Tat rühmt, die Ihr nicht getan habt, seid Ihr ein Simulant. Wenn Ihr aber vermeidet, ohne es durchblicken zu lassen, Eure Taten restlos offenzulegen, dann dissimuliert Ihr. Es ist Tugend über der Tugend, die Tugend zu dissimulieren. Herr de Salazar lehrt Euch, auf eine kluge Art tugendhaft zu sein oder tugendhaft nach Maßgabe der Klugheit. Als der erste Mensch die Augen auftat und erkannte, daß er nackt war, verbarg er sich sogar vor dem Blick seines Schöpfers: So entstand die Sorgfalt im Verbergen fast gleichzeitig mit der Welt. Dissimulieren heißt einen Schleier aus ehrlicher Dunkelheit ausbreiten, hinter dem man nicht das Falsche formt, sondern dem Wahren ein wenig Ruhe gibt. Die Rose erscheint uns schön, weil sie uns auf den ersten Blick verhehlt, daß sie so hinfällig ist, und obwohl man von sterblicher Schönheit gewöhnlich sagt, daß sie überirdisch sei, ist sie doch nichts anderes als ein Kadaver, den die Gunst des Alters noch verhüllt. Man darf in diesem Leben nicht immer offenherzig sein, und die Wahrheiten, die uns am meisten bedeuten, dürfen immer nur halb gesagt werden. Dissimulierung ist nicht Betrug. Sie ist eine Technik, die Dinge nicht so sehen zu lassen, wie sie sind. Und sie ist eine schwierige Technik: Um darin trefflich zu sein, dürfen die anderen unsere Trefflichkeit nicht bemerken. Wenn jemand berühmt würde für seine Fähigkeit, sich zu verstellen, wie die Schauspieler, so wüßten alle, daß er nicht ist, was er zu sein vorgibt. Aber von trefflichen Dissimulanten, die es durchaus gegeben hat und gibt, hört man nichts.«
    »Und wohlgemerkt«, fügte Herr de Salazar hinzu, »dissimulieren heißt nicht stumm bleiben wie ein Ochse. Im Gegenteil. Ihr müßt lernen, mit spitzem Wort zu erreichen, was Ihr mit dem offenen Wort nicht bekommt; Euch in einer Welt zu bewegen, die den Schein privilegiert, mit allen Finessen der Eloquenz, um seidene Worte zu wirken. Wie Pfeile den Leib, so können Worte die Seele durchbohren.
    Laßt Natur in Euch werden, was mechanische Kunst in Pater Emanueles Maschine ist.«
    »Aber mein Herr«, sagte Roberto, »Pater Emanueles Maschine scheint mir ein Bild des Geistes zu sein, dem es nicht darum geht, zu schlagen oder zu verfuhren, sondern Zusammenhänge zwischen den Dingen zu finden und aufzudecken, also ein neues Werkzeug der Wahrheit zu werden.«
    »Das gilt für die Philosophen. Bei den Dummen dagegen heißt es: Benutzt den Geist, um zu verblüffen, und Ihr werdet Zustimmung finden. Die Menschen lieben es, verblüfft zu werden. Wenn Euer Schicksal und Euer Glück sich nicht auf dem Schlachtfeld entscheiden, sondern den Salons bei Hofe, wird Euch ein guter Punkt im Gespräch mehr einbringen als ein guter Sturmangriff in der Schlacht. Der kluge Mann zieht sich mit einem eleganten Satz aus jeder Verlegenheit, und er weiß die Zunge mit der Leichtigkeit einer Feder zu führen. Das meiste kann man mit Worten bezahlen.«
    »Ihr werdet am Tor erwartet, Salazar«, sagte Saletta. Und so endete für Roberto jene unerwartete Lektion über das Leben und die Weltklugheit. Er war nicht erbaut von ihr, aber er war seinen beiden Lehrern dankbar. Sie hatten ihm viele Mysterien der Welt erklärt, von denen ihm auf La Griva nie jemand etwas gesagt hatte.
    Die Leidenschaft der Seele
    In diesem Zusammenbruch aller Illusionen fiel Roberto einer Liebestollheit anheim.
    Es war inzwischen Ende Juni und sehr heiß geworden; vor etwa zehn Tagen waren die ersten Gerüchte über einen Pestfall im spanischen Lager aufgekommen. In der Stadt begann die Munition knapp zu werden, an die Soldaten wurden nur noch pro Mann und Tag vierzehn Unzen Schwarzbrot verteilt, und um ein Pint Wein von den Casalern zu bekommen, mußte man drei Florin bezahlen, was soviel war wie zwölf Real. Abwechselnd waren die Herren Salazar in die Stadt und Saletta ins Lager gegangen, um den Austausch der bei den Zusammenstößen gefangengenommenen Offiziere auszuhandeln, und die Ausgetauschten mußten sich verpflichten, nicht wieder zu den Waffen zu

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