Die Insel Des Vorigen Tages
hatten, aber ebenso sicher wurde sie dort zur Schau gestellt, um die Belagerten zu erschrecken.
»Seht Ihr«, sagte Salazar, »der Krieg wird durch Maschinen entschieden werden, seien es Sichelwagen oder Minengänge. Einige unserer tapferen Kameraden, auf beiden Seiten, werden ihre Brust noch dem Gegner darbieten, aber wenn sie dabei nicht versehentlich sterben, werden sie es nicht getan haben, um zu siegen, sondern um Reputation zu gewinnen, die sie dann am Hofe verwenden können. Die Tapfersten unter ihnen werden klug genug sein, aufsehenerregende Unternehmungen zu wählen, aber nicht ohne das Verhältnis zwischen Risiko und Gewinnchance nüchtern zu kalkulieren ...«
»Mein Vater ...«, begann Roberto als Hinterbliebener eines Helden, der nie und nichts kalkuliert hatte.
Salazar unterbrach ihn: »Euer Vater war genau ein Mann der vergangenen Zeiten. Glaubt nicht, daß ich ihnen nicht nachtrauere, aber kann es noch der Mühe wert sein, eine kühne Tat zu vollbringen, wenn man später mehr von einem schönen Rückzug als von einem mutigen Angriff sprechen wird? Habt Ihr nicht eben erst eine Kriegsmaschine gesehen, die bereitsteht, den Ausgang dieser Belagerung durchschlagender zu entscheiden, als es früher die Schwerter vermochten? Und ist es nicht schon viele Jahre her, daß die Schwerter den Arkebusen Platz gemacht haben? Gewiß, wir tragen noch den Brustharnisch, aber jeder Pikaro kann in einem Tag lernen, den Harnisch des großen Balardo zu durchstoßen.«
»Aber was ist dann dem Edelmann noch geblieben?«
»Die Weisheit, die klug abwägende Überlegung, Signor de La Grive. Der Erfolg hat nicht mehr die Farbe der Sonne, aber er wächst im Lichte des Mondes, und niemand hat je gesagt, daß dieses zweite Himmelslicht dem Schöpfer aller Dinge unlieb wäre. Selbst Jesus hat abgewogen, nachts im Garten Gethsemane.«
»Aber dann hat er eine Entscheidung nach der heroischsten aller Tugenden getroffen, und ohne Weltklugheit ...«
»Aber wir sind nicht der Erstgeborene des Ewigen, wir sind die Kinder des Säkulums. Wenn diese Belagerung vorbei ist und Ihr nicht durch eine Maschine ums Leben gekommen seid, was werdet Ihr dann tun, Signor de La Grive? Werdet Ihr vielleicht auf Euer Land zurückkehren, wo Euch niemand Gelegenheit geben wird, Euch als Eures Vaters würdig zu erweisen? Seit wenigen Tagen erst bewegt Ihr Euch zwischen Pariser Herren, und doch zeigt Ihr Euch bereits überwältigt von ihren Sitten. Ihr werdet Euer Glück in der großen Stadt suchen wollen, aber seid Euch darüber im klaren: dort werdet Ihr jenen Nimbus von Stolz einsetzen müssen, den Euch die lange Untätigkeit in diesen Mauern gewährt haben wird. Auch Ihr werdet nach dem Glück streben, und Ihr werdet geschickt sein müssen, um es zu bekommen. Wenn Ihr hier gelernt habt, einer Musketenkugel auszuweichen, werdet Ihr dort lernen müssen, dem Neid, der Eifersucht und der Habgier auszuweichen, indem Ihr die gleichen Waffen benutzt wie Eure Gegner, das heißt wie alle. Also hört mir zu. Vorhin habt Ihr mich unterbrochen und mir gesagt, was Ihr denkt, und im Ton einer Frage habt Ihr mir bedeuten wollen, daß ich mich irrte. Tut das nie wieder, schon gar nicht, wenn Ihr mit Mächtigen redet. Es mag Euch ankommen, im Vertrauen auf Eure Überzeugungskraft und im Gefühl, die Wahrheit bezeugen zu müssen, einem Höhergestellten einen guten Rat zu geben. Tut das nie. Jeder Sieg erzeugt Haß im Besiegten, aber den eigenen Herrn besiegen zu wollen ist entweder dumm oder zeugt von tragischer Blindheit. Die Fürsten wollen, daß man ihnen hilft, aber nicht, daß man sie übertrifft. Doch seid auch klug im Umgang mit Euresgleichen. Demütigt sie nicht mit Euren Tugenden. Sprecht nie von Euch selbst, denn entweder Ihr würdet Euch loben, was eitel wäre, oder Ihr würdet Euch schmähen, was dumm wäre. Laßt lieber zu, daß die andern ein paar verzeihliche Fehler bei Euch entdecken, an denen ihr Neid sich dann gütlich tun kann, ohne Euch zu sehr zu schaden. Ihr müßt viel sein und manchmal wenig scheinen. Der Strauß ist nicht bestrebt, sich in die Luft zu erheben, um sich einem beispielhaften Fall auszusetzen: Er gibt die Schönheit seiner Federn nur nach und nach preis. Und vor allem, wenn Ihr je Leidenschaften habt, zeigt sie niemals, so nobel sie Euch auch«scheinen mögen. Man darf nicht jeden in sein Herz blicken lassen. Ein kluges und vorsichtiges Schweigen ist das Gefäß der Weisheit.«
»Aber mein Herr, damit sagt Ihr mir doch, die
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