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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Landstrich, erhob sich ein Klümpchen von Lichtern, das zu erkennen Roberto von Doktor Byrd gelernt hatte: das Kreuz des Südens. Und von einem vergessenen Dichter, von dem ihn sein Karmelitischer Hauslehrer in La Griva einige Verse hatte auswendig lernen lassen, erinnerte er sich an eine Vision, die ihn in seiner Kindheit begeistert hatte: die Vision eines Pilgers, der durch die unterirdischen Reiche des Jenseits gewandert war und, als er auf der anderen Seite des Globus genau an diesem unbekannten Erdstrich herauskam, ebenjene vier Sterne erblickte, die noch niemals zuvor erblickt worden waren außer von den ersten (und letzten) Bewohnern des Irdischen Paradieses.
    Die Kunst der Weltklugheit
    Sah er sie, weil er seinen Schiffbruch wirklich an den Grenzen des Gartens Eden erlitten hatte, oder weil er aus dem Bauch des Schiffes wie aus einem Höllenschlund aufgetaucht war? Vielleicht beides. Dieser Schiffbruch, durch den er sich mit dem Schauspiel einer anderen Natur konfrontiert sah, hatte ihn aus der Hölle jener Welt gerettet, in die er gelangt war, als er in Casale die Illusionen seiner Kindheit verlor.
    Dort war es noch gewesen, wo ihm, nach seinen ersten Einblicken in die Geschichte als Ort zahlloser Launen und undurchschaubarer Ränke der Staatsräson, Saint-Savin zu verstehen gegeben hatte, daß die Große Maschine der Welt sehr unzuverlässig war, geplagt von den Boshaftigkeiten des Zufalls. In wenigen Tagen war sein Jugendtraum von den Großen Taten verflogen, und bei Pater Emanuele hatte er gelernt, daß es galt, sich für die Großen Worte zu ereifern und daß man ein Leben damit verbringen kann, nicht einen Riesen zu bekämpfen, sondern einen Zwerg auf tausenderlei Art zu benennen.
    Nach dem Besuch im Kloster hatte er sich, um noch ein wenig zu plaudern, Herrn della Saletta angeschlossen, der seinerseits Herrn de Salazar ans Tor begleitete, und so gingen sie zu dritt ein Stückweit über die Bastionen.
    Die beiden Herren waren voll des Lobes für Pater Emanueles Metaphern-Maschine, und Roberto fragte naiv, was soviel Wissenschaft bringen könne, um das Schicksal einer Belagerung zu entscheiden.
    Herr de Salazar lachte. »Junger Freund«, sagte er, »wir alle sind hier bemüht, und zwar auf Wunsch verschiedener Monarchen, daß dieser Krieg nach Recht und Ehre ausgehe. Doch wir haben nicht mehr die Zeiten, in denen man den Lauf der Sterne mit dem Schwert ändern konnte. Vorbei ist die Zeit, da der Adel die Könige schuf; heute sind es die Könige, die den Adel erschaffen. Einst war das Leben am Hofe ein Warten auf den Moment, da der Edelmann sich als solcher im Krieg erweisen konnte. Heute sind all die Edelmänner, die Ihr dort seht«, und er deutete auf die Zelte der Spanier, »und die Ihr hier seht«, und er deutete auf die Unterkünfte der Franzosen, »in diesem Krieg nur, um heimkehren zu können an ihren natürlichen Ort, und der ist der Hof, und am Hofe, mein Freund, wetteifert man nicht mehr, um dem König an Tugend gleichzukommen, sondern um seine Gunst zu gewinnen. Heutzutage gibt es in Madrid Edelmänner, die ihren Degen noch nie gezogen haben, und sie entfernen sich nie aus der Stadt, denn wenn sie es täten, ließen sie sie, während sie selbst sich auf dem Feld der Ehre mit Staub bedeckten, in den Händen reicher Bürger und eines Amtsadels, den heutzutage auch ein Monarch in hoher Wertschätzung hält. Dem Krieger bleibt nichts anderes mehr übrig, als die Tapferkeit aufzugeben und der Weltklugheit zu folgen.«
    »Der Weltklugheit?« fragte Roberto.
    Salazar forderte ihn auf, in die Ebene hinunterzuschauen. Die beiden Parteien waren in träge Scharmützel verwickelt, da und dort sah man Staubwolken aufsteigen an den Mündungen der Minengänge, wo die Kanonenkugeln einschlugen. Im Nordwesten schoben die Kaiserlichen eine sogenannte Schirmwand voran: einen robusten Wagen, an den Seiten mit Sicheln versehen und vorn mit einer Wand aus Eichenplanken, gepanzert mit pickelbeschlagenen Eisenbändern. Durch Schießscharten in dieser Wand ragten die Läufe von Büchsen, Feldschlangen und Arkebusen, und an den Seiten konnte man die auf dem Wagen verschanzten Landsknechte sehen. Vorne von Rohren starrend, an den Seiten von Klingen, und dazu kettenrasselnd, fauchte die Maschine ab und zu Feuerstöße aus einer ihrer Kehlen. Sicher hatten die Belagerer nicht vor, sie sofort einzusetzen, denn es war eine Kriegsmaschine, die erst vor die Mauern gebracht werden mußte, wenn die Minen ihre Arbeit getan

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