Die Insel Des Vorigen Tages
gemacht, um mein Leben darin zu verbrennen? Und wie kömmt es, daß ich um so mehr brenne, je mehr meine Augen sich netzen? Vielleicht hat mein Vater mich nicht aus dem gleichen Lehm geformt, aus dem er den ersten Menschen erschuf, sondern aus Kalk, da mich das Wasser, das ich verströme, verzehrt. Und wie kömmt es, daß ich, wiewohl verzehrt, dennoch weiterlebe und neue Tränen finde, um mich erneut zu verzehren?«
»Ist das nicht etwas übertrieben?«
»Bei großen Gelegenheiten müssen auch die Gedanken groß sein.«
Von nun an protestierte Roberto nicht mehr. Ihm war, als wäre er selbst die Adressatin geworden und empfände das, was sie beim Lesen des Briefes empfinden mußte. Saint-Savin diktierte.
»Ihr habt in meinem Herzen, als Ihr es verließet, einen widerspenstigen Rest zurückgelassen, nämlich Euer Bildnis, das sich nun rühmt, Macht über mein Leben und meinen Tod zu haben. Und Ihr habt Euch von mir entfernt, wie es die Herrscher tun, die sich vom Hinrichtungsort entfernen aus Furcht, mit Gnadengesuchen behelligt zu werden. Wenn meine Seele und meine Liebe sich am Ende in zwei reine Seufzer auflösen, werde ich sterbend die Agonie beschwören, daß als letzter derjenige meiner Liebe aus mir entweiche, und so werde ich - als mein letztes Geschenk an Euch - das Wunder bewirkt haben, auf das Ihr stolz sein könnt, seid Ihr dann doch wenigstens für einen Augenblick noch von einem toten Körper beseufzet worden.
»... beseufzet worden. Ende?«
»Nein, laßt mich überlegen, wir brauchen noch einen Schluß, der eine Pointe enthält ...«
»Eine Puen - was?«
»Ja, einen Akt des Verstandes, der die unerhörte Entsprechung zwischen zwei Objekten auszudrücken scheint, eine Entsprechung jenseits all dessen, was wir glauben, so daß sich in diesem schönen Spiel des Geistes glücklich alle Rücksicht auf die Substanz der Dinge verliert.«
»Verstehe ich nicht.«
»Ihr werdet es schon noch verstehen. Kehren wir zunächst einmal den Sinn des Ganzen um, Ihr seid ja nicht wirklich gestorben; geben wir ihr die Möglichkeit, diesem Sterbenden zu Hilfe zu eilen. Also schreibt: Vielleicht könntet Ihr mich ja, Signora, noch retten. Ich habe Euch mein Herz geschenkt. Doch wie kann ich leben ohne das Triebwerk meines Lebens? Ich bitte Euch nicht, es mir zurückzugeben, denn nur in Eurem Gefängnis genießt es die sublimste aller Freiheiten, aber ich bitte Euch, schickt mir dafür doch das Eure, das keinen aufnahmebereiteren Schrein finden wird. Ihr braucht nicht zwei Herzen, um zu leben, und das meine schlägt so stark für Euch, daß Ihr der ewigsten aller Gluten versichert seid.«
Und mit einer halben Drehung und einer Verbeugung wie ein Schauspieler, der Applaus erwartet:
»Schön, nicht?«
»Schön? Also ich finde es ... wie soll ich sagen ... lächerlich. Seht Ihr nicht diese Signora vor Euch, wie sie in Casale hin- und herläuft, um Herzen abzuholen und zu übergeben, als wäre sie ein Schildknappe?«
»Wollt Ihr, daß sie einen Mann liebt, der wie irgendein Bürger redet? Unterschreibt und siegelt.«
»Aber ich denke nicht an die Dame, ich denke, wenn sie das jemandem zeigen würde, ich müßte vor Scham in den Boden versinken.«
»Sie wird es niemandem zeigen. Sie wird den Brief im Busen tragen und jeden Abend eine Kerze auf dem Nachttisch anzünden, um ihn wiederzulesen und mit Küssen zu bedecken. Unterschreibt und siegelt.«
»Aber angenommen, nur einmal so angenommen, sie kann nicht lesen. Dann muß sie ihn sich doch von jemandem vorlesen lassen.. .«
»Aber Signor de La Grive! Wollt Ihr mir etwa sagen, Ihr hättet Euch in eine Bäuerin verliebt? Ihr hättet meine Inspiration dazu verschwendet, eine Landpomeranze in Verlegenheit zu bringen? Dann bleibt uns nur, uns zu schlagen!«
»Das war doch nur eine Annahme. Ein Scherz. Aber mir ist beigebracht worden, daß ein kluger Mann alles abwägen muß, alle Fälle und alle Umstände, und unter den möglichen auch die unmöglichen ...«
»Da seht Ihr, daß Ihr allmählich lernt, Euch gut auszudrücken. Aber Ihr habt schlecht abgewogen und habt die lächerlichste der Möglichkeiten gewählt. Jedoch, ich will Euch nicht zwingen. Also streicht ruhig den letzten Absatz und fahrt fort, wie ich Euch diktiere ...«
»Aber wenn ich etwas ausstreiche, muß ich den Brief doch neu schreiben.«
»Faul seid Ihr auch noch? Aber der kluge Mann muß die Mißgeschicke zu nutzen wissen. Streicht ...
Fertig? So, nun paßt auf« Er tauchte den Finger in eine
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