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Die Insel Des Vorigen Tages

Die Insel Des Vorigen Tages

Titel: Die Insel Des Vorigen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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greifen. Man sprach erneut von jenem Hauptmann, der nun in der diplomatischen Welt Karriere machte, Mazzarini, den der Papst mit den Verhandlungen betraut hatte.
    Ein paar Hoffnungen, ein paar Ausfälle, ein Wechselspiel von Versuchen, die gegnerischen Minengänge zu zerstören: So verlief jene träge Belagerung.
    Das Warten auf Verhandlungen, oder auf die Entsatzarmee, hatte die kriegerischen Gemüter ruhiggestellt. Einige Casaler hatten beschlossen, sich hinauszuwagen, um die wenigen noch nicht von Wagen und Pferden zerstörten Weizenfelder abzuernten, ungeachtet der müden Büchsenschüsse, mit denen die Spanier sie aus der Ferne bedachten. Aber nicht alle waren unbewaffnet: Roberto sah eine hochgewachsene rotblonde Bäuerin, die ab und zu ihr Sicheln unterbrach, sich zwischen die Ähren bückte, eine Muskete hervorzog, sie wie ein alter Soldat anlegte, den Kolben an die gerötete Wange gepreßt, und in Richtung der Störer schoß.
    Die Spanier, verärgert über die Schüsse dieser kriegerischen Erntegöttin, erwiderten das Feuer, und ein Streifschuß traf sie am Handgelenk. Blutend wich sie zurück, hörte aber nicht auf, nachzuladen und zu schießen, wobei sie den Feinden Schmähworte zurief Als sie schon fast unter der Stadtmauer angelangt war, beschimpften sie einige Spanier: »Puta de los franceses!« Worauf sie im Dialekt zurückrief:
    »Jawohl, ich bin die Hure der Franzosen, aber nicht eure!«
    Diese stolze Frauengestalt, diese Quintessenz ährentragender Schönheit und martialischen Zorns, dazu jener Verdacht einer Schamlosigkeit, den die Beschimpfung ihr angehängt hatte, entflammten die Sinne des Heranwachsenden.
    Ruhelos war er an jenem Tag durch die Straßen von Casale gelaufen, um die Vision wiederzusehen; hatte die Bauern befragt, hatte erfahren, daß die junge Frau nach Auskunft der einen Anna Maria Novarese heiße, nach Auskunft anderer Francesca, und in einer Weinschenke war ihm gesagt worden, daß sie zwanzig Jahre alt sei, vom Lande komme und ein Techtelmechtel mit einem französischen Soldaten habe. »Is’ ‘ne Brave, die Francesca, wenn sie brav ist«, hatten die Zecher mit gutmütigem Augenzwinkern gesagt, und daß die Geliebte erneut mit schlüpfrigen Anspielungen bedacht wurde, ließ sie Roberto noch begehrenswerter erscheinen.
    Eines Abends, ein paar Tage später, als er an einem Haus vorbeiging, erblickte er sie in einem dunklen Zimmer im Erdgeschoß. Sie saß am offenen Fenster, um einen leichten Wind zu nutzen, der die druckende Schwüle kaum zu lindern vermochte, das Gesicht im Schein einer Lampe, die von außen nicht zu sehen war. Roberto hatte sie nicht gleich wiedererkannt, da das prächtige Haar straff nach hinten gebunden war und nur zwei Strähnen über ein Ohr hingen. Man sah nur ihr leicht nach unten geneigtes Gesicht, ein fleckenlos reines Oval, beperlt mit einigen Schweißtropfen, und es schien die einzige wahre Lichtquelle in jenem Halbdunkel zu sein.
    Sie saß über einer Näharbeit an einem niedrigen Tischchen, auf den sie den aufmerksamen Blick gerichtet hielt, so daß sie den jungen Mann nicht sah, der zurückgetreten war, um sie verstohlen von der Seite zu betrachten, an die Mauer gepreßt. Mit hämmerndem Herzen sah Roberto ihre Oberlippe, die von einem blonden Flaum überschattet war. Auf einmal hob sie eine Hand, die noch heller war als ihr Gesicht, um einen dunklen Faden an ihren Mund zu führen. Sie schob den Faden zwischen ihre roten Lippen, entblößte weiße Zähne und kappte ihn mit einem einzigen Biß wie ein edles Raubtier, zufrieden lächelnd über ihre milde Härte.
    Roberto hätte die ganze Nacht lang dastehen können, kaum atmend aus Angst, entdeckt zu werden, und ganz starr vor Erregung. Aber kurz darauf löschte sie das Licht, und die Vision war vorbei.
    In den nächsten Tagen ging er immer wieder an dem Haus vorbei, ohne sie jedoch wiederzusehen, außer einmal, aber da war er nicht sicher, ob sie es war, denn sie saß mit gebeugtem Kopf, so daß der entblößte rosige Hals zu sehen war, und eine Kaskade von Haaren fiel über ihr Gesicht. Eine Matrone stand hinter ihr, fuhr ihr mit einem großen Kamm kreuz und quer durch die Löwenmähne und ließ ihn ab und zu stecken, um sich ein flichtendes Tierchen zu schnappen und es mit einem trockenen Knacken zwischen den Nägeln zu zerdrücken.
    Für Roberto war das Ritual des Entlausens nicht neu, aber er entdeckte zum erstenmal seine Schönheit und stellte sich vor, er könnte die Hände in jene seidigen

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