Die Insel Des Vorigen Tages
diffizilen Mission bewährt hat. Der Rest hängt von Euch ab. Die Dankbarkeit der Großen, einmal erworben, muß man mit Eifersucht pflegen, um sie nicht zu verlieren, und mit weiteren Diensten nähren, damit sie fortdauert: ihr werdet dann entscheiden, ob Eure Loyalität gegenüber Frankreich so groß ist, daß sie Euch rät, Eure Zukunft seinem König zu verschreiben. Es soll schon andern passiert sein, daß sie woanders geboren sind und in Paris ihr Glück gemacht haben.«
Mazarin empfahl sich selber als Vorbild an belohnter Loyalität. Doch für Roberto ging es in diesem Moment sicher nicht um Belohnungen. Der Kardinal hatte ihm die Aussicht auf ein Abenteuer, auf neue Horizonte eröffnet und hatte ihm eine Lektion in Lebensklugheit erteilt, deren Unkenntnis ihn vielleicht bisher der Wertschätzung anderer entzogen hatte. Vielleicht war es gut, diese Einladung anzunehmen, die ihn von seinen Leiden entfernte. Was die andere Einladung betraf, die er vor drei Tagen erhalten hatte, so war ihm bereits alles klargeworden, als der Kardinal seine Rede begonnen hatte. Wenn ein Anderer an einer Konspiration teilgenommen hatte und alle glaubten, es handle sich um Roberto, dann hatte ein Anderer sicher auch konspiriert, um Lilia jenen Satz einzugeben, der ihn mit Freude gefoltert und mit Eifersucht beglückt hatte. Zu viele Andere zwischen ihm und der Wirklichkeit. Um so besser also, sich auf hoher See zu isolieren, wo er die Geliebte auf die einzige Art würde besitzen können, die ihm vergönnt war. Schließlich besteht die höchste Vollendung der Liebe nicht darin, geliebt zu werden, sondern ein Liebender zu sein.
Er beugte ein Knie und sagte: »Eminenz, ich bin der Eure.«
Oder jedenfalls hätte ich es gerne so, da es mir unpassend erschiene, ihm einen Freibrief mitgeben zu lassen, der da lautete: »Träger dieses hat bei allem, was er getan hat, auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates gehandelt.«
Unerhörte Kuriositäten
Wenn die Daphne , wie die Amarilli, auf der Suche nach dem Punto Fijo gewesen war, dann war der Eindringling gefährlich. Roberto wußte nun von dem lautlosen Kampf, den sich die Staaten Europas lieferten, um jenes Geheimnis in ihren Besitz zu bringen. Er mußte sich sehr gut vorbereiten und schlau zu Werk gehen. Offensichtlich war der Eindringling zu Beginn der Nacht tätig geworden, dann hatte er sich ins Freie begeben, als Roberto, wenn auch in der Kajüte, seine Tagwache begann. Sollte er seine Pläne umstürzen, ihm den Eindruck vermitteln, daß er tagsüber schlafe und nachts Wache halte? Wozu, der andere würde bloß seine Gewohnheiten ändern. Nein, er mußte ihm eher jede Voraussage unmöglich machen, ihn verunsichern, ihn glauben lassen, er schlafe, wenn er wachte, und schlafen, wenn der andere dachte, er wache ...
Er würde versuchen müssen, sich vorzustellen, was der andere dachte, daß er dachte, oder was der andere dachte, daß er dachte, daß der andere dachte ... Bis zu diesem Moment war der Eindringling sein Schatten gewesen, jetzt würde Roberto der Schatten des Eindringlings werden müssen, würde lernen müssen, die Spuren dessen zu verfolgen, der auf seiner Spur war. Aber würde dieses gegenseitige Belauern ewig so weitergehen können - der eine schleicht eine Treppe hinauf, während der andere die entgegengesetzte hinuntersteigt, der eine hockt unten im Kielraum, während der andere oben auf Deck Wache hält, der oben stürzt sich ins Unterdeck, während der unten womöglich außen an der Bordwand emporklettert?
jeder besonnene Mensch hätte sofort beschlossen, die Erkundung des restlichen Schiffes vorzunehmen, aber vergessen wir nicht, daß Roberto nicht sehr besonnen war. Er griff erneut zum Branntwein und redete sich ein, er tue es, um sich zu stärken. Einen Mann, den die Liebe stets zum Warten angeregt hatte, konnte jenes Feuerwasser nicht zur Entscheidung anregen. Daher ging er langsam ans Werk und meinte, er wäre ein Blitz. Er glaubte zu springen und kroch auf allen vieren. Um so mehr, als er noch nicht wagte, bei Tag ins Freie zu treten, und sich nur in der Nacht stark fühlte. Aber in der Nacht trank er und wurde dann träge. Und genau das war’s, was sein Feind gewollt hatte, sagte er sich am nächsten Morgen. Und machte sich, um sich Mut zu machen, erneut über den Zapfhahn her.
Jedenfalls beschloß er erst gegen Abend des fünften Tages, sich in jenen Teil des Kielraums hinunterzuwagen, den er noch nicht gesehen hatte: den vorderen Teil unter der
Weitere Kostenlose Bücher