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Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Titel: Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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seiner Kultur – eingeschlossen die Erfahrung von Hiroshima und Nagasaki – könnten es besser dafür aufgerüstet haben als uns, die begründete Angst des Menschen vor sich selbst zu relativieren. Vielleicht tun wir nicht übel daran, auf die heimliche Vernunft der japanischen »Unvernunft« zu setzen.
      Erinnert man sich noch an Herrn Ulbrichts vielbelachte Devise, es gelte den Kapitalismus zu überholen, ohne ihn einzuholen? Bei der Preisaufgabe, Japan zu folgen, ohne es nachzuahmen, ist dem Westen das Lachen vergangen – vielleicht beginnt er dafür das Lächeln zu lernen; aber nicht das japanische: eher das Lächeln des Achill, als er feststellte, daß er die Schildkröte mit aller Schnelligkeit nicht einholte. Dann muß ihm die Geschichte vom Hasen und vom Igel einfallen. Das Geheimnis besteht darin, dort, wo man hinwill, schon da zu sein. Das aber ist keine Sache der Beine, sondern der Umsicht, des geduldigen Überblicks, der Phantasie.

    Zwei Geschichten und ein Faktor X
    für Tadao Ando

      Meine Damen und Herren, ich stehe nicht als Architekturkritiker vor Ihnen, sondern als Schriftsteller, d. h.: als Berufslaie. Zu meinem Geschäft gehört es, Zeichen zu lesen (auch solche, die nur in der Luft liegen) und dann Zeichen zu schreiben. Bei mir nehmen sie die Form von Geschichten an. Ich werde Ihnen heute also zwei eigene Geschichten erzählen, in denen Tadao Ando eine Hauptrolle spielt. Dafür habe ich nicht um seine Erlaubnis gebeten und bitte ihn – und Sie alle – um Nachsicht. Ich werde, in anmaßlicher Bescheidenheit, vor allem von meinen Erfahrungen reden. Die Geschichte aber, in der sie ihren Sinn erhalten, ist weitläufiger als meine Biographie. Es ist ein Stück Geschichte der Moderne.
      Vielen von Ihnen erzähle ich heute nichts Neues. Nicht einmal die Tatsache, daß »Moderne« inzwischen ein historischer Begriff, der Name für eine Stilepoche geworden ist, wie Renaissance oder Barock, ist eine Neuigkeit. Meine Geschichten handeln vom Widerstand, den ich dieser Entwicklung leiste, immer noch. Denn in meiner späteren Jugend, den Jahren meiner Gefühlsbildung, gab es sie noch, die Moderne, und im Herzensgrund weigere ich mich, sie ad acta zu legen. Ich habe keinen Ersatz dafür. Die Postmoderne, die mir angeboten wird, empfinde ich bis zum Widerwillen als eben das: als Ersatz. Aber so konservativ kann ich auch als Moderner nicht sein, daß ich die Moderne nur loben möchte, im Gegenteil. So weit sie mit einer Utopie im Bunde war, hat sie sich an einem umfassenden Elend schuldig gemacht. Es lastet, spätestens seit der Abdankung des Sozialismus, ein Fluch auf jedem Programm, das weiß, was für andere, für alle Menschen gut ist. Der nobelste Entwurf hat sich in jedem seiner Praxisversuche als Zumutung für die Begünstigten erwiesen – um nicht gleich von Horror und Terror zu sprechen.
      Ich wünschte, ich könnte die Götter und Heiligen meiner eigenen Jugend von diesem Utopiebankrott ausnehmen. Es sind auch – und sogar an erster Stelle – große Architekten darunter; ich kann es leider nicht. Noch weniger freilich kann ich mich an der Beliebigkeit schadlos halten, die an die Stelle der großen Entwürfe getreten ist.
      In diesem Dilemma hat mir das Bauen von Tadao Ando gutgetan. Ich möchte ihn dafür als Brückenbauer feiern: zwischen dem Entwurf, der nicht – nicht mehr – geht; und einer Architektur, die es dennoch gibt. »Dennoch« ist schon falsch, denn ich finde keinerlei Trotzleistung, überhaupt keine Form von Behauptung in Andos Bauen. Dafür macht er von den Entwürfen, die mir, dem westlichen Betrachter, ins Zwielicht geraten sind, einen gelassenen, einen unbefangenen Gebrauch. Aus Zwielicht macht Ando wieder Licht – aber es stammt aus einer anderen Quelle. Es ist, sehe ich recht, nicht diejenige der Aufklärung; es ist älter und elementarer.
      In unserem Wohnzimmer hing lange ein Plakat von der Ausstellung eines kürzlich verstorbenen Architekten, den Sie als Schriftsteller besser kennen: Max Frisch. Auf seinem Porträt ein Zitat, das für ihn ungemein typisch war: »... so und nicht irgendwie«. Er kam – als Zeitgenosse, aber auch als Architekt – vom Bauhaus her. Das hieß mehr als funktionale Form und Geschmack am richtigen Material. Das hieß: verbindliche Lebensgestaltung unter den Bedingungen der Industrieproduktion. Und es hieß soziale Verbindlichkeit der Guten Form; nicht nur Design, sondern Grand Design. Es hieß, mit einem Wort, modern sein,

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