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Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Titel: Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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es war die Utopie der Moderne. Die städtebauliche Dimension – das heißt: die Verallgemeinerung eines Konzepts vom Menschen – war dieser Moderne eingeboren. Der Schriftsteller Frisch plädierte in den fünfziger Jahren für die Gründung einer neuen Stadt, anstelle der vorgesehenen Landesausstellung. Diese neue Stadt ist nicht gebaut worden, so wenig wie Corbusiers Paris, so wenig wie die meisten Villes radieuses. Sie hätten gebaut werden müssen, fand meine Generation in ihrer Jugend. Die Zeit war sich einen Entwurf ihrer Zukunft schuldig.
      Nachdem ich eine der Planstädte gesehen hatte, die wirklich gebaut wurde: Chandigarh, die neue Hauptstadt des geteilten Pandschab, war ich immer noch überzeugt davon, obwohl mir ein bissiger Hund, der mich durch die endlosen Avenuen jagte, die Begeisterung sauer machte. Auch die Bewohner fingen schon an, die säuberlich in Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verwaltung geteilte Idealstadt zu unterwandern und in eine real existierende indische Stadt zu verwandeln. Ein eifriger junger Bewohner erklärte mir, Monsieur Laquerbuse werde eines Tages zurückkommen und ihnen erklären, was die monumentale geöffnete Hand in ihrem Stadtzentrum zu bedeuten habe. Ich fürchte, Le Corbusier ist so wenig nach Chandigarh zurückgekehrt wie Jesus nach Jerusalem.
      Aber ich wollte Ihnen zwei andere Erfahrungen, mit moderner Architektur erzählen. Mit Le Corbusier haben die Geschichten immer noch zu tun. Die erste ist die vergleichende Geschichte zweier Lücken; die andere ist die Geschichte eines Männchens und einer Strohmatte.
      Die Geschichte mit der Lücke hat sich in Ronchamp ereignet. Dahin bin ich in der Zeit meiner Moderne immer wieder gepilgert, meist in Gesellschaft einer Freundin: es war so etwas wie eine Testfahrt, ob wir je zusammenpassen würden. Einwände gegen Ronchamp waren für mich ein Grund, ein Verhältnis zu beenden.
      Ich brauche Ihnen Le Corbusiers einzigen Sakralbau nicht zu schildern. Die fromme Bauherrschaft konnte mit dem Beweis, daß sich Glauben und Moderne vertragen, zufrieden sein. Hoch oben, in einem verglasten Durchbruch der Betonwand, steht das Gnadenbild, das früher das Objekt der Pilgerströme gewesen und aus dem Brand der neugotischen Kirche gerettet worden war. Es wird kaum Architekturpilger geben, die diese Positionierung der Heiligen nicht gut gelöst finden. Kunsthistorisch kaum bedeutend, scheint sie, aus dem Kircheninnern betrachtet, am realen Himmel mit seinen Wolken zu schweben, dem natürlichen Wechsel der Witterung ausgesetzt. Von der Freilichtseite aus gesehen, also aus der Sicht der Pilgermassen, die die Kapelle nicht faßt, fügt sich Maria in ihrer Vitrine als etwas einsame Ikone in die Altarwand aus Beton brut. Damit sich das Bild seinen Verehrern dann auch zuwendet, muß es freilich umgedreht werden.
      Daß der ursprüngliche Sinn der Kirche durch ihre Architektur zum Fremdkörper marginalisiert, daß er vom Objekt der Andacht zu einem Zitat von Andacht wurde – mich störte es damals nicht. Ich war so wenig ein bekennender Christ wie der große Architekt. Höchstens wunderte ich mich über den Umfang seiner Herablassung, wenn ich auf einem der unregelmäßigen Fenster von seiner Hand – in Kinderschrift – je vous salue Marie lesen konnte. Auch für mich war das wahre Kultobjekt die Architektur. Ich glaube nicht, daß ich seither ein besserer Christ geworden bin. Trotzdem nehme ich jene Vitrine mit der ausgestellten Jungfrau nun als Lücke wahr – als Fehlanzeige der Moderne gegenüber allem, was ihre Zuversicht nicht teilte. Sie fand eine vertretbare Lösung dafür – vom Lösenden und vom Bindenden dessen, was diese Figur zu bedeuten hatte, wußte sie nichts. Denn von der Konkurrenz des Sakralen wollte der utopische Gestus der Aufklärung nichts mehr wissen. Dieser Autorität hat er sich entwunden, um sein eigenes Maß aufzurichten – damit bin ich schon fast bei der zweiten Geschichte.
      Ich kann meine erste nicht ohne Tadao Ando fertigerzählen. Auch er ist, als junger Reisender im Westen, unseren Göttern begegnet. Wenn ich recht gelesen habe, gehörte das Pantheon in Rom zu seinen Augenöffnungen für Architektur. Er hat im Pantheon etwas Heiliges gesehen. Aber er hat sie nicht als Lücke gesehen, diese Öffnung im Zentrum der Kuppel, die allen Göttern errichtet war. Durch die Öffnung im Zentrum regnete und schneite sie herein, die altrömische Oberwelt, vor allem: sie leuchtete, sie strahlte herein. Der

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