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Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans

Titel: Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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Kolumbus aussehen. Nur: ganz so leicht zu übernehmen ist es nicht, wie diesmal die westlichen Nachahmer erfahren. Offenbar muß man aus einer sehr langen und eigentümlichen Geschichte sehr viel dafür mitbringen. Freilich: Japan zu idealisieren dürfte ebenso töricht sein, wie es zu mystifizieren oder zu diabolisieren. Es wäre schon viel, wenn man auf das japanische Zukunftspotential einmal anders aufmerksam würde: in seiner Kombinationskunst von Armut und Reichtum. Damit meine ich jetzt nicht: Rohstoffarmut und Super-Industrialisierung. Ich meine auch nicht die japanische Spezialität, Effizienz auf der Basis vorindustrieller, im Kern: feudaler Einstellungen zu ermöglichen: Zusammengehörigkeitsgefühl und Familiensinn. Japan incorporated, das heißt: die in den Marktmechanismen gewinnbringend statt hemmend eingebaute Staatsquote – vielmehr: die korporative Verwaltung des gesellschaftlichen Konsenses – imponiert uns zwar ebenso durch ihr Integrationsund wie durch ihr Steuerungsvermögen. Trotzdem ist diese Variante des »verantwortungsvollen Kapitals« kaum übertragbar, sie stellt gewissermaßen die private Seite des japanischen Wunders dar. Was die Weltöffentlichkeit aber interessieren muß, ist der japanische Beweis, daß eine immer noch steigerungsfähige Produktivität nicht unvereinbar sein muß mit einer Disziplinierung des Anspruchs. Denn so sehr die Japaner heute dem Konsumdenken verfallen scheinen: erstaunlich viele Regeln der Selbstbescheidung sind wirksam geblieben. Die Marktkräfte sind geimpft mit etwas wie sozialer Intelligenz.
      Das heißt, Japan hat den wirklichen Entwicklungsländern etwas zu bieten, was über die barbarischen Alternativen hinausgeht: Selbstverlust oder Elend; Hunger oder ökologische Katastrophe. Japan zeigt vor, wie sich drohende Explosionen – Bevölkerung, Ansprüche, Modernisierung – auffangen, platzsparend und raumschonend zivilisieren lassen. Die japanischen Inseln sind eine Titanic, die bei allem Wettbewerbsehrgeiz (noch?) auf keinen Eisberg gelaufen ist. Sie scheint über eine psychologische Steuerautomatik, über soziale Verhaltensnormen zu verfügen, die auch dem Schönen und Feinen Raum gönnen – knapp, und doch ausreichend für ein menschliches Leben und ein ziviles Zusammenleben.
      Vielleicht sollten wir darum diesem Japan weniger verargen, wenn es sich taub stellt gegen moralische Alternativen, die uns zwingend scheinen; wenn es sich seine ökonomische Zuversicht, die ihre opportunistische Seite hat, nicht verbittern läßt. Positionen, in denen es kein Profil zeigt – oder was wir im Westen dafür halten –, könnten Zukunft haben; die NichtDefinition seiner geopolitischen Verbindlichkeiten ihre Weisheit. Japan will – frei nach Brecht – kein Rückgrat zum Zerbrechen. Was wir für nichts als robusten Profitsinn halten, ist vielleicht eine – gar die einzige – funktionierende Schaltstelle zwischen Erster und Dritter, Vierter Welt. Die Armen finden ja, wie es scheint, die Sprache des Geschäftsmanns weniger anstößig als die Sprache der Missionare. Es ist ein unansehnlicher, ein kleiner Nenner, auf dem sich Japan mit dem Rest der Welt trifft, aber möglicherweise ein tragfähiger und ausschlaggebender.
      Ich stelle mir vor, daß die Menschheit in diesem japanischen Laboratorium die Chance ihrer Überlebensfähigkeit testet. Es hat seine Logik, und vielleicht seine Gerechtigkeit, daß diese Überprüfung nicht mehr auf dem Boden jener Humanität stattfindet, die wir die abendländisch-christliche nennen. Aber die Zeit ist vorbei, wo man finden konnte, Japan habe »uns« die Fackel des Prometheus entwendet. Es treibt die technologische Zivilisation weiter, auch weiter als uns geheuer ist; wir haben Grund zur Sorge, zur Neugier, zum Interesse, wie Japan das Saatgut der Zivilisation verwaltet. Da es gelernt hat, Inkommensurables wertungsfrei nebeneinander gelten zu lassen, könnte es dem Chaos, das wir fürchten, eher gewachsen sein. Vielleicht bildet es darin jene Muster aus, die wir in den fraktalen Figuren bestaunen: Bilder geordneter Turbulenz. Sie gleichen nicht mehr dorischen Säulen oder Figuren cartesianischer Logik. Viel eher erinnern sie an tibetische Mandalas oder Wolken am Himmel – oder eben an die Vieldeutigkeit jedes menschlichen Akts. Sie stimmen zur Unberechenbarkeit unserer Existenz. Diese mit EigentümerAllüren zu vermessen ist bisher nicht ohne Vermessenheit abgegangen. Japan hat es anders angefangen. Die Ressourcen

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