Die Insel, die Kolumbus nicht gefunden hat: Sieben Gesichter Japans
angeboten werden.
Der Fall: Eine Frau, deren Verlobter seit Wochen auswärts auf Montage arbeitet, besucht mit ihrer Freundin eine »Tanzdiele« (wir sind im Ruhrgebiet). Dort findet sie offensichtlich Gefallen an einem jungen Mann, der ebenfalls von seinem Freund begleitet ist. Nach dem Tanzen verabschiedet sich das andere Mädchen, man bleibt zu dritt, beschließt, bei dem jungen Mann in der Wohnung noch etwas Musik zu hören. Das geschieht, und nachdem der zweite Mann verschwunden ist, passiert es eben. Was? Die Vergewaltigung, gibt die junge Frau zu Protokoll; eine einvernehmliche und so gut wie verabredete Krönung des Abends, entgegnet der junge Mann, der nun zum Angeklagten geworden ist.
Die Zuschauer als Geschworene; die Meinung der japanischen Zuschauerin lautet: das Mädchen sei natürlich nicht vergewaltigt worden. Warum nicht? Weil sie mit beiden jungen Männern in die Wohnung gegangen sei. Wäre sie mit einem gegangen, könnte man an eine Vergewaltigung eher glauben. – ??? – Es dauerte eine Weile, bis den westlichen Gesprächspartnern klar wurde: mit nur einem Begleiter in die Wohnung zu gehen, hätte die Situation so eindeutig gemacht, wie sie niemals hätte sein dürfen, wenn die junge Frau willig gewesen wäre. In der sichtbaren Gesellschaft beider Männer aber blieb (knapp) Raum genug für unschuldige Vermutungen. Also hatte das Mädchen ihrerseits Raum für die Möglichkeit, mit dem neuen Bekannten zu schlafen. Und da sie es gerade so eingefädelt hatte, wollte sie es wohl auch so.
Die Perspektive, aus der die Japanerin den Fall betrachtete, war von vornherein die der Nachbarn. Diese hätten sich im Fall eines einzigen Begleiters sagen müssen: Sie weiß, daß wir wissen, sie ist verlobt. Sie würde sich also genieren, die (unvermeidlichen) Zeugen zu einer verwerflichen Deutung des Vorgangs zu zwingen. In diesem Fall hätte die Situation harmlos sein müssen, und die junge Frau wollte es beim Plattenhören bewenden lassen. Ging sie aber mit zwei Männern, so brauchten sich die Beobachter nichts Arges zu denken, konnten also jedem Dritten gegenüber (oder vor Gericht) ihre Unschuldsvermutung vertreten. Danach war die junge Frau frei zu tun, was sie wirklich wollte; also konnte sie es wollen; also hatte sie, was immer geschah, in Kauf genommen (mindestens). Die »moralische« Seite der Vergewaltigung schien die Zuschauerin erstaunlich wenig zu beschäftigen. Nahm sie die Sexualität überhaupt so wichtig wie wir?
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Da glaubt man ihn ja mit Händen zu greifen, den berühmten Unterschied zwischen »Schuldkultur« und »Schamkultur«.
Zum Beispiel die Frage der japanischen Kriegsschuld –
Wir glauben zu sehen, daß die Japaner sie nicht stellen (oder sich ihr). Uns scheint, ihre Empfindlichkeit melde sich erst, wenn sie diese bei uns bemerken (den internationalen Nachbarn). Die es ein starkes Stück finden, das Massaker von Nanking einen incident zu nennen oder die unmenschlichen Medizinversuche an Kriegsgefangenen in der Mongolei mit einer Schweigemauer zu umgeben. Wo bleibt die Trauerarbeit, die öffentliche Diskussion?
In japanischen Augen wäre sie selbst der Skandal, den sie beim Namen nennt. Wird eine Familienschande davon weniger, daß man sie bespricht? Angenommen, es gäbe so etwas wie kollektives Schuldbewußtsein: dann wäre es, nach japanischem Gefühl, im Schweigen am würdigsten aufgehoben.
Aber der Krieg wurde in Japan nicht als Schuldsache, sondern als Notstand erlebt: zuerst des Befehls, dann des Zusammenbruchs. In beiderlei Form war er der Zurechnungsfähigkeit entzogen. Die nachträgliche Antwort darauf soll nicht die Diskussion sein, sondern der Friede –
Das Bekenntnis zu diesem Frieden hat in westlichen Ohren etwas Summarisches, Hiroshima als schauderhaft-willkommene Gedächtnislücke, die Atombombe als General-Alibi. Das Opfer, zur absoluten Größe erhoben, tilgt die Notwendigkeit der Schuldzurechnung. Das Drängen darauf gilt als stillos –
Während uns wiederum diese Art von Konfliktvertuschung unempfindlich vorkommt.
Die als Kriegsverbrecher hingerichteten Militärs werden mit den andern Kriegsopfern im Yasukuni-Schrein geehrt. In japanischen Augen »tragen« sie nicht die Verantwortung für das »Unglück« des Kriegs, sie haben sie auf sich genommen, auch zur Entlastung des Kaisers. Im Krieg wäre man für ihn gestorben; nach dem Krieg starb man an seiner Stelle. Die (vom Westen) Schuldiggesprochenen umgibt
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