Die Insel: (Inseltrilogie #1) (German Edition)
Komisch war aller dings, dass ich keinerlei Lebenszeichen von der Westseite der Insel erkennen konnte. Nur endlose Bäume. Einen Moment lang glaubte ich, eine Rauchwolke aufsteigen zu sehen, aber das hätte ich mir auch nur einbilden können. Nun glaube ich allerdings, dass ich mich damals nicht geirrt habe.
Die Narren sind ein Teil unserer Welt und es wird Zeit, dass wir uns dem stellen.
***
Als die Sonne sich ihrem höchsten Punkt am Himmel nähert, bekomme ich ein nervöses Flattern im Bauch. Mara und ich tragen unser überfüllten Körbe zu der Stelle, an der ich mich letzte Nacht mit Walt unterhalten habe. Ich habe keine Schwierigkeiten den Weg dahin zurück zufinden – ich kenne die Waldwege auswendig, nachdem ich auf Sauls Befehl hin unzählige Male hier draußen war – aber bei Walt bin ich mir da nicht so sicher. Wird er den Weg hierher wiederfinden? Oder war unsere Begegnung letzte Nacht das letzte, was ich von ihm gesehen habe?
Walt ist da. Er trägt dunkelgrüne Klamotten, die ihn im umgebenden Gebüsch gut verstecken. Ich hätte ihn beinahe übersehen. Beinahe, denn sein hellblondes Haar ist deutlich sichtbar. In seinen Händen hält er eine grüne Stoffmütze, die er offensichtlich abgenommen hat, damit sein Haar hervor sticht. Oder seinen Hut abzunehmen ist ein närrischer Brauch und er will nur höflich sein.
„Leia“, ruft er leise und steht von seiner hockenden Position auf, bevor er Mara einen neugierigen Seitenblick zuwirft.
„Das ist meine beste Freundin“, erkläre ich schnell. „Sie ist okay. Sie weiß, dass du die Schrift hast.“
„Ich verstehe, warum du ihn für dich allein behalten wolltest“, raunt Mara mir zu.
Ich ignoriere die Röte, die in meine Wangen steigt, und gehe auf Walt zu. Im vollen Tageslicht sieht seine Haut blass aus, aber sein hellblondes Haar ist noch strahlender in der Sonne. Sein Haar ist mit dunkleren Strähnen durch zogen, von einer Farbe, die mich an den goldenen Anhänger der Frau des Ältesten erinnert, den sie zu besonderen Anlässen trägt. Walt ist fast so groß und breitschultrig wie Andy. Seine Augen blicken alles um ihn herum mit unbändiger Neugierde an, mich eingeschlossen. Ich fühle mich plötzlich schüchtern unter seinem fragenden Blick.
„Hast du sie dabei?“, frage ich.
Walt klopft auf die braune Ledertasche, die er sich über die Schulter geschlungen hat. „Natürlich. Und ich habe auch Neuigkeiten mitgebracht.“
Er zieht die Schrift aus der Tasche, das Titelbild nach oben, und zeigt auf Luke und Leia. „Tony kennt sie. Eure Vorfahren.“
Mir klappt die Kinnlade runter. „Wirklich?“
Walt nickt ernsthaft. „Er möchte mit dir reden. Dinge erklären. Frag mich nicht, was er damit meint, aber ich denke, es ist wichtig, dass du ein paar Freunde zusammen trommelst, denen du vertraust, und ihr zu uns nach Hoffnungshafen kommt. Denkst du, du kriegst das hin?“
„Klingt als hätten wir keine andere Wahl“, antworte ich grimmig. Plötzlich kann ich es nicht ausstehen, dass Walt im Vergleich zu mir so clever wirkt. Ich fühle mich wie eine Hinterwäldlerin.
„Ich würde gerne mitkommen“, bietet Mara an. Die wissens durstige Mara, die sowieso schon immer herausfinden wollte, was auf der anderen Seite der Mauer ist.
„Aber wir müssen uns erst auf die Probleme auf unserer Seite der Mauer konzentrieren“, mache ich nochmal klar. „Unseren Anführer zur Wahrheit zwingen. Henry befreien. Uns mit den Eltern beraten.“
„Die Eltern?“ Walt fragt es in einem Ton, als hätte er noch nie etwas von Eltern gehört.
„Äh, ja. Sie leben in Newexter. Vielleicht helfen sie uns, Saul loszuwerden, auch wenn ich meiner Mutter gesagt habe, es wäre nicht nötig.“ Ich seufze und halte einen Moment inne. „Eigentlich wäre es mir ganz recht, wenn sie einschreiten würden. Wir können die Hilfe wirklich gebrauchen.“
Walt blinzelt verwirrt. „Also... lebt ihr nicht bei euren Eltern?“
Ich runzle die Stirn. „Nein. Natürlich nicht.“
„Wie alt seid ihr Mädchen denn?“
„Mara ist fünfzehn und ich bin sechzehn.“
„Hm.“ Walt zuckt unverbindlich mit den Schultern und gibt mir die Schrift. „Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm ist.“
„Schlimm?“ Ich starre ihn zornig an.
Walts Augenbraue zuckt nach oben. „Ja. Denkst du denn nicht, dass es schlimm ist?“
Plötzlich fallen mir die Worte meiner Großmutter wieder ein. „Also lebt ihr bei euren Eltern?“, frage ich zögernd.
Die Liebe einer
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