Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
des Dorfes aber bleibt das Trinkwasser: Es wird noch immer aus dem kleinen, von einem der Tundrabäche gespeisten Tümpel gewonnen. Doch wenn dieser Tümpel 1994 noch vergleichsweise sauber war, so stehen jetzt in seiner unmittelbaren Nähe private Banjas und Toiletten … Das Wasser ist im Grunde ungenießbar. Aber eine andere Frischwasserquelle gibt es nicht am Ort. Rund anderthalb Monate im Jahr ist die »Sommerwasserversorgung« in Betrieb: Das Wasser wird aus dem Tümpel in die Zisterne gepumpt und verteilt sich von dort über ein alterschwaches, stets reparaturbedürftiges Leitungssystem von selber im Dorf. Im Winter funktioniert dieses System selbstverständlich nicht. Ein Teil des Trinkwassers wird dann »gespeichert« (d.h. aus der Leitung in Kanister abgefüllt und als Eis gelagert); der Nutzwasserbedarf wird mit (aufgrund der Kohleöfen sehr schmutzigem) Schnee gedeckt. Wer sauberes Wasser trinken will, der holt es sich aus den Tundraseen, zu denen er mit dem Buran fährt.
Geheizt wird mit – per Schiff angelieferter – Steinkohle; der Gesamtbedarf des Dorfes beträgt 1800 Tonnen pro Jahr. Die Öfen sind ebenso alt wie die Behausungen selbst und stellen somit eine erhebliche Brandgefahr dar. In einigen Baracken wurde überdies in Eigeninitiative ein Warmwassersystem installiert, gespeist von ebendiesen Öfen.
Strom liefert eine Dieselstation, für deren Betrieb 700 Tonnen Brennstoff pro Jahr übers Meer gebracht werden müssen. Viel einfacher und eigentlich naheliegend wäre es, vom Ostende der Insel, wo Erdöl gefördert wird, eine Gaspipeline nach Bugrino zu legen. Und offenbar hat irgendein Dorfoberer auch einmal versprochen, die Siedlung ans Gas anzuschließen, und dementsprechende Vereinbarungen mit den Geologen getroffen. Aber dann wurde sein Patron in Narjan-Mar »abgesetzt«, woraufhin auch er »flog«, und so blieb der Traum von der Gasversorgung ein Traum. Dafür stellt das Löschen von Diesel und Kohle noch immer Jahr für Jahr eine echte Tragödie dar!
Die Landwirtschaftliche Produktionskooperative Kolgujewski
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2005 arbeiteten in der LPK Kolgujewski 67 Personen, davon waren 24 unmittelbar im Bereich der Renhaltung beschäftigt, als Hirten, Tschumarbeiterinnen, Brigadiere oder Facharbeiter.
Die Produktion der Pelznäherei, wo bis in die 1990er Jahre noch die traditionellen Fellstiefel, Unty, hergestellt wurden, dümpelt weiter mit ein wenig Oberlederproduktion vor sich hin; sämtliche Rentierhäute werden nach der Schlachtung über den Abhang »verwertet«; das Fleisch geht zum Spottpreis weg: die Renhaltung lohnt immer weniger. Nach Aussagen von Kolgujewern ist die Kooperative faktisch bankrott und hält sich nur dank Subventionen. Eine Weiterverarbeitung des Fleisches vor Ort findet nicht statt. Wegen mangelnder Lagerkapazitäten ist die LPK ungeachtet der mindestens 7000 Stück Vieh, die es noch auf der Insel gibt, mehr oder weniger außerstande, die örtliche Bevölkerung mit Fleisch zu versorgen. Von »subtileren« Stoffen ganz zu schweigen: hormon und fermenthaltige Stoffe, Blutplasma, u.ä., die sich auf dem Weltmarkt großer Nachfrage erfreuen und gutes Geld brächten.
Auch was den Maschinenpark betrifft, ist wie 1994 noch immer nur ein Geländefahrzeug einsatzbereit, das andere ständig in Reparatur. Geplant ist der Kauf eines UAZ Big Food.
EKORA
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Von segensreicher Bedeutung waren die Exkursionen, die zwischen 2002 und 2007 im Rahmen eines vom Global Ecological Fund unterstützten Projekts mit dem Titel »Komplexer ökosystemischer Ansatz zur Bewahrung der Biodiversität und zur Verringerung der Fragmentierung von Biotopen in drei Modellgebieten der Russländischen Arktis« (EKORA) auf Kolgujew durchgeführt wurden. Sie haben nicht nur den Niedergang Bugrinos in Teilen stoppen können, sondern sich überaus positiv auf das gesamte Inselleben ausgewirkt. Die vielen ausländischen Gruppen, die auf die Insel kamen und die Auseinandersetzung mit Problemen der traditionellen Naturnutzung sowie den Folgen der Erdölförderung für die Rentierhaltung haben die Territorialadministration des Autonomen Kreises der Nenzen gezwungen, anders auf Kolgujew zu blicken. Bis dahin galt die Insel einfach als angestammtes Wilderei-Gebiet der Kolgujewer Führungs-»Elite« und ihrer hochrangigen »Gäste«. Das EKORA-Projekt brachte Geld nach Bugrino, mit dem die sozialen Gegensätze etwas entschärft werden konnten. 2007/2008 wurden einige Bauprojekte lanciert: Neben der Errichtung zweier
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