Die Insel - Roman
mir gemacht. Das macht drei Mal, bisher.«
»Und bei mir sind es zwei Mal«, sagte Alice.
»Inzwischen haben wir beide unsere Periode gehabt. Also scheint das nicht genug gewesen sein. Aber wie oft ist genug?«
»Wer kann das wissen?«
»Wenigstens müssen wir nicht mehr dauernd ran, jetzt, wo er die ganzen anderen hat.«
Die ganzen anderen!
Ich konnte nicht mehr länger still bleiben.
»Entschuldigt bitte«, sagte ich. Die beiden holten hörbar Luft.
»Alles in Ordnung«, sagte ich. »Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich bin euer Freund. Ich bin hier, um euch zu retten.«
»Bist du Rupert?«, fragte Erin.
Ich traute meinen Ohren nicht.
»Ja«, antwortete ich. »Woher weißt du das?«
»Ich habe nur geraten. Sie haben uns alles über dich erzählt. Wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.«
Ich trat langsam näher an den Käfig heran. Hier hinten drang kein Mondlicht durch die Bäume nach unten. Ich konnte nichts sehen, weder die Käfige noch die Mädchen, ja nicht einmal die eigene Hand vor Augen. Es war, als wäre man in einem lichtdichten Schrank eingesperrt.
Ich streckte die Hand aus und berührte einen der Gitterstäbe. »Ich bin hier, neben deinem Käfig.«
»Ich kann dich nicht sehen«, sagte Erin.
»Ich dich auch nicht.«
»Bist du sicher?«, meldete sich Alice zu Wort. »Du kannst keine von uns sehen?«
»Wenn wir ihn nicht sehen, wie soll er uns dann sehen?«, fragte Erin.
»Könnte doch sein.«
»Alice macht sich Sorgen, weil wir nur wenig anhaben.«
»Das ist okay. Ich sehe überhaupt nichts.«
»Wir heißen übrigens Alice und Erin Sherman. Wir sind Zwillinge. Vierzehn Jahre alt.«
»Eineiige Zwillinge?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete Alice.
»Ja«, sagte Erin.
»Nein, sind wir nicht.«
»Doch, sind wir. Aber wir sehen trotzdem nicht ganz gleich aus. Alice glaubt, dass sie die Hübschere von uns beiden ist.«
»Du lügst.«
»Aber eigentlich bin ich die Hübschere«, fuhr Erin fort. Ich stellte mir vor, dass sie dabei lächelte.
»Du bist so was von blöd«, sagte Alice. »Und lustig ist das auch nicht.«
Ich bewegte mich seitwärts, wobei ich mich an den Eisenstangen entlang tastete. Sie fühlten sich warm an und waren mindestens zwei Zentimeter dick, während der freie Raum zwischen ihnen höchstens zehn Zentimeter maß.
»Was machst du?«, fragte Erin. »Rupert?«
»Ich gehe zwischen eure Käfige, damit wir nicht so laut reden müssen.«
»Bist du schon lange hier?«
Ich spürte, wie ich rot wurde. Zum Glück konnten sie es nicht sehen. »Nein«, log ich. »Ich bin gerade gekommen.«
»Alle glauben, dass du tot bist.«
»Die Berichte über meinen Tod sind maßlos übertrieben«, sagte ich und erklärte ihnen, dass das ein Zitat von Mark Twain war.
»Mann, ist das toll«, sagte Erin. »Dass du lebst, meine ich.«
»Und nicht in einem Käfig«, fügte Alice hinzu.
Ich kam an die Ecke von Erins Käfig und tastete mich darum herum. Um sicher zu gehen, dass ich mich auch wirklich zwischen den beiden Käfigen befand, streckte ich die andere Hand aus und ertastete eine Stange von Alices Käfig. Dann setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden. »Okay«, sagte ich.
Von beiden Seiten hörte ich leise Geräusche - Knistern, Atmen und ein paar schwache Seufzer. Anscheinend rutschten die Mädchen näher an mich heran. Das Stöhnen kam von rechts, von Erin. Kein Wunder - die Verletzungen, die ihr Wesley und Thelma zugefügt hatten, taten bestimmt ziemlich weh.
»Bist du da?«, fragte sie.
So leise ich konnte, rutschte ich näher an Erins Käfig heran und hielt an, als mein Oberarm eine Stange berührte.
»Kannst du uns hier rausholen?«, fragte Alice.
»Das hoffe ich. Irgendwie werde ich es schaffen. Kann man diese Käfige auch ohne Schlüssel öffnen?«
»Nein«, sagte Erin. Ihre Stimme war viel näher als die von Alice. Ich glaubte, ihren Atem an meinem Arm zu spüren. Obwohl ich sie nicht einmal schemenhaft erkennen konnte, stellte ich mir vor, wie sie ebenfalls im Schneidersitz auf der anderen Seite der Gitterstäbe saß und sich,
die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt, leicht vorbeugte, bis ihre Brustwarzen fast die Unterarme berührten. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von dem meinen entfernt.
Ich wünschte, ich könnte sie sehen.
Ich dachte an das Feuerzeug in meiner Hosentasche.
Aber ich holte es nicht heraus. Es war besser für uns alle, wenn man uns nicht sehen konnte, zumindest im Augenblick.
»Ohne Schlüssel kommt man nicht rein und auch
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