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Die Insel - Roman

Titel: Die Insel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon Thomas A Merk
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erinnerte mich an die Assistentin eines Messerwerfers im Zirkus, ein schönes Mädchen im engen Glitzerkleid, das auf einer großen Scheibe festgeschnallt wird, auf der sie ein sich drehendes Ziel für die Messer abgibt und auch noch so tun muss, als mache ihr das Ganze einen Riesenspaß.
    Nur dass Thelma weder schön noch bekleidet war. Ihre riesigen, bleich im Mondlicht schimmernden Brüste hingen schlaff von ihrem Oberkörper wie seekranke Reisende, die sich an der Reling übergeben mussten.

    Der Schubs des Dingis hatte sie eine halbe Drehung vollführen lassen.
    Als ich sie mit dem Boot umkreiste, drehte sie sich weiter und schaukelte im Kielwasser des kleinen Motors langsam auf und ab.
    Von alledem schien sie keine Notiz zu nehmen.
    Ich nahm mir eine der Macheten vom Boden des Bootes und schwenkte sie über meinem Kopf. »Hey! Thelma!«, rief ich. »Sieh mal, was ich hier habe!«
    Sie reagierte nicht, trieb einfach in der Mitte des Kreises, den ich mit dem Dingi zog.
    Ich holte aus und warf die Machete in die Luft.
    Es war als harmloser Wurf gedacht, ehrlich. Gefühlvoll von unten - so, wie man einem Kind einen Ball zuwirft.
    Ich wollte Thelma nur erschrecken, irgendeine Bewegung oder einen Ausweichversuch provozieren.
    Treffen wollte ich sie auf keinen Fall.
    Aus irgendeinem Grund aber misslang mir der Wurf total. Ich weiß nicht warum, aber ich legte mehr Kraft hinein, als ich beabsichtigt hatte, und anstatt in einem flachen Bogen ein, zwei Meter von Thelma entfernt aufs Wasser zu klatschen, wirbelte die Machete hoch durch die Luft.
    Vielleicht gibt es ja so etwas wie einen »Freud’schen Fehlwurf«. Keine Ahnung.
    Das Unterbewusste spielt einem ja manchmal die sonderbarsten Streiche. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ich nach den Anstrengungen des heutigen Tages meine Muskeln nicht mehr richtig koordinieren konnte.
    Jedenfalls war ich richtiggehend schockiert, als die Machete sich wild überschlagend fast senkrecht in die Luft
flog, ihren Scheitelpunkt erreichte und sich immer noch drehend wieder herunterzufallen begann.
    Eine Machete ist ein langes, schweres und extrem scharfes Messer, das dafür gedacht ist, mit einem einzigen Schlag dicke Zuckerrohrstängel durchzuhauen. Wenn sie einen Menschen aus einer solchen Höhe herabfallend trifft, fügt sie ihm schlimmste Verletzungen zu.
    »Verdammte Scheiße«, murmelte ich, weil ich einen Augenblick lang befürchtete, das kreiselnde Messer könnte am Ende mich selber treffen. Aber dann sah ich, dass es stattdessen direkt auf Thelma zuraste.
    »Thelma!«, rief ich. »Pass auf!«
    Sie reagierte nicht, sondern trieb weiter mit von sich gestreckten Armen und Beinen auf dem Wasser wie die nackte, unattraktive Assistentin eines durchgeknallten Messerwerfers.
    Sie ist tot, sagte ich mir. Mach dir keinen Kopf deswegen.
    Trotzdem schrie ich wieder: »Thelma!«
    Und beobachtete, wie die Machete weiter auf sie zuflog.
    Vielleicht würde sie Thelma doch noch knapp verfehlen. Oder vielleicht nur mit dem Griff treffen und nicht mit der Schneide.
    Sie traf Thelma mit der Schneide, direkt unterhalb des Bauchnabels, und drang in sie ein wie ein warmes Messer in weiche Butter.
    Und Thelma schrie.
    Der Aufprall des schweren Messers drückte sie unter Wasser. Ihr Schrei erstickte.
    Sie verschwand im schwarzen Wasser, als hätte ein riesiger Schlund sie verschluckt.

    Ich selber schrie, bis mir die Luft ausging. Dann gab ich, nach Atem ringend und leise vor mich hinwimmernd, Vollgas und fuhr so schnell wie nur irgend möglich in Richtung Land.
    Nur einmal drehte ich mich um und blickte zurück.
    Von Thelma war nichts mehr zu sehen.
    Danach starrte ich nur noch nach vorne. Ich hatte Angst vor dem, was ich hinter mir vielleicht sehen würde.
    Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde sie hinter mir herschwimmen.

Einer noch
    Mit der verbliebenen Machete in der Hand kletterte ich auf den Anleger und machte das Dingi daran fest. Mir war immer noch so mulmig zu Mute, dass ich es nicht wagte, hinaus auf die Bucht zu blicken, während ich zum Ende des Anlegers hastete und durch das dichte Gras hinüber zum Haus lief.
    Die ganze Sache war einfach zu unheimlich.
    Und ich hatte noch nie zuvor einen Menschen getötet.
    Thelma umgebracht zu haben war ein schreckliches Gefühl.
    Nicht nur, dass ich einem Menschen das Leben genommen hatte, dieser Mensch war auch noch eine Frau gewesen. Frauen durfte man kein Leid zufügen, das hatte mein Vater mir immer wieder beigebracht.

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