Die Insel - Roman
Thelma sie offen gelassen? Nachdem sie gegen die Säule geprallt war, hatte sie andere Dinge zu tun gehabt, als die Tür zu schließen.
Mit einem raschen Rundumblick vergewisserte ich mich, dass niemand in der Eingangshalle war, bevor ich mich der Treppe zuwandte.
Wesley lag - wenn er noch da war - am Fuß der Treppe zum dritten Stock. Ich hoffte sehr, dass ich ihn dort finden würde.
Langsam stieg ich in den ersten Stock hinauf. Auf dem Treppenabsatz hielt ich inne und lauschte. Mein Herz klopfte schrecklich laut und schnell. Sonst hörte ich nichts, abgesehen von dem Kreischen, Schreien und Zwitschern, das beständig aus dem Dschungel drang.
Im Haus selber war nichts zu hören.
Kein Laut, der von Wesley stammen könnte.
Vielleicht ist er wirklich tot, dachte ich.
Oder er schläft.
Nein, das wohl kaum. In der Stellung, in der ich ihn zuletzt gesehen hatte, konnte er nicht schlafen. Außerdem müsste ich ihn dann schnarchen hören.
Damit blieben nur drei Möglichkeiten:
1. Er war tot und lag noch immer da, wo er nach seinem Sturz gelandet war.
2. Er war so schwer verletzt, dass er sich nicht bewegen konnte, und lauschte, wie ich langsam die Treppen heraufkam.
3. Er war fort.
Nummer eins wäre mir recht gewesen, aber eher hoffte ich auf Nummer zwei. Noch immer aufgeputscht von meiner Begegnung mit Thelma, freute ich mich geradezu auf die Auseinandersetzung mit ihm.
Möglichkeit Nummer drei behagte mir am wenigstens.
Aber genau die traf zu.
Nachdem ich langsam hinauf in den zweiten Stock gestiegen war, schaute ich auf die Stelle, an der Wesleys nackter Körper hätte liegen müssen.
Mit gebrochenen Knochen, aber lebendig.
Oder von mir aus auch tot.
Der Platz, an dem Wesley gelegen hatte, war leer.
Ich war so enttäuscht, dass ich mich am Treppengeländer festhalten musste. Auf einmal bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut.
Er konnte überall sein .
Ich wirbelte herum und blickte die Treppe hinab.
Gott sei Dank kam er sie nicht heraufgeschlichen.
Vielleicht ist er ja wieder nach oben gekrochen und dort zusammengebrochen, dachte ich, und stieg vorsichtig hinauf in den dritten Stock.
Auch dort war nichts von Wesley zu sehen.
Ich sah in alle Zimmer. Er war in keinem von ihnen.
Und jetzt?
Was sollte schon sein? Entweder ich fand ihn, oder er fand mich.
Ich überlegte, ob ich auch die restlichen Zimmer im Haus nach ihm absuchen sollte, verwarf diese Idee aber ziemlich schnell wieder. Eine derartige Durchsuchung würde mich bloß Zeit und Nerven kosten.
Wahrscheinlich war Wesley gar nicht mehr im Haus.
Vielleicht war er zu den Käfigen gegangen .
Und wenn er jetzt bei den Mädels war? Ihnen etwas antat?
Ich musste mir überlegen, was ich als Nächstes tun sollte.
Zu den Käfigen gehen?
Nein, nein, nein! Erst die Schlüssel suchen, und dann zu den Käfigen gehen.
Offenbar hatte Wesley die Schlüssel nicht bei sich gehabt, als er die Treppe hinuntergestürzt war. Was bedeuten konnte, dass sie möglicherweise noch in dem Zimmer oben lagen. Falls er sie nicht mitgenommen hatte.
Rasch stieg ich noch einmal die Treppe hinauf. Die Stufen waren noch immer ziemlich rutschig, aber das war mir egal.
Ich stürmte ins Schlafzimmer und knipste das Licht an. Auf den zerwühlten weißen Bettlaken lag kein Schlüsselbund. Ich hob beide Kissen hoch. Auch hier war er nicht. Ebenso wenig wie auf dem Boden, auf den Nachttischen
oder auf der Kommode. Nachdem ich alle Schubladen aufgezogen hatte, kniete ich mich sogar auf den Boden, um unter dem Bett und der Kommode nachzusehen.
Der Schlüsselbund war nirgends. Inzwischen rechnete ich schon gar nicht mehr damit, ihn zu finden. Wesley musste ihn geholt und mitgenommen haben.
Zu den Käfigen?
Ich stürzte zu einem der Fenster und blickte hinaus.
Jenseits des mondbleichen Rasens sah ich, wie im dunklen Dschungel eine orange-gelbe Flamme flackerte.
Auf einmal wurde mir ganz flau im Magen.
»O mein Gott!«, murmelte ich.
Und rannte aus dem Zimmer.
Rückkehr zu den Käfigen
Auf meinem Weg nach unten machte ich im zweiten Stock kurz Halt und hob Connies Spezialspeer auf.
Mit dem Speer in der Hand und dem Rasiermesser in der Socke eilte ich die restlichen Treppen hinab und rannte aus dem Haus. Von der Veranda spurtete ich über den Rasen, bis ich nicht mehr im Licht der Scheinwerfer war.
Von hier unten konnte ich den Feuerschein nicht mehr sehen, dazu war der Dschungel zu dicht.
Ich fragte mich, ob ich nicht in eine Falle lief.
Wesley war ein
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