Die Insel - Roman
womöglich um. Ich bin schon beim letzten Mal nur mit knapper Not dem Tod entronnen.
Hier im Lager bin ich ziemlich sicher.
Wesley und Thelma glauben, dass ich tot bin, und das wird wohl noch eine Zeit lang so bleiben.
Und dann ist da noch etwas.
Ich möchte eigentlich nicht herausfinden, dass die Frauen tot sind.
Das halte ich nicht aus.
Es ist besser, wenn ich es nicht weiß. Dann kann ich mich wenigstens an die vage Hoffnung klammern, dass sie vielleicht doch überlebt haben.
Oder zumindest die eine oder andere von ihnen.
Wenn wenigstens eine von ihnen noch leben würde …
Wenn ich es mir aussuchen könnte, für welche würde ich mich wohl entscheiden? Vermutlich nicht für Connie, schätze ich mal, die hat mich zu lange schlecht behandelt. Und außerdem ist sie nicht mal annähernd so attraktiv wie ihre Mutter oder ihre Halbschwester. Connie ist nicht hässlich, aber die anderen beiden sind echte Schönheiten.
Es stehen also Billie und Kimberly zur Wahl.
Aber es wäre ja krank, wenn ich mich vor die Entscheidung stellte, welche von ihnen sterben muss. Formulieren wir die Frage also lieber so: mit welcher würde ich lieber hier auf dieser Insel leben, bis wir gerettet werden?
( Falls wir jemals gerettet werden, was mir von Tag zu Tag unwahrscheinlicher vorkommt. Mein Gott, was ist eigentlich,
wenn ich bis ans Ende meiner Tage hier auf dieser Insel bleiben muss? Und dann vielleicht auch noch ohne eine von den Frauen? Ich allein? Keine Ahnung. Ich mache jetzt weiter damit, welche von ihnen ich mir aussuchen würde.)
Kimberly oder Billie?
Keine leichte Entscheidung.
Kimberly kann manchmal ziemlich hitzköpfig sein. Und außerdem knallhart und Furcht einflößend, und außerdem kommandiert sie einen gerne herum. Die würde mir sagen, wo es lang geht. Was vielleicht nicht das Schlechteste wäre.
Billie hingegen ist viel umgänglicher. Sie ist lieb, freundlich und mitfühlend. Wir würden bestimmt gute Freunde sein. Schließlich sind - waren - wir das ja schon. Sehr gute sogar, meiner Meinung nach.
Natürlich wäre es wohl das Gescheiteste, wenn ich mich für Billie entscheiden würde. Wir würden wunderbar miteinander auskommen. Und der Sex mit ihr ist bestimmt fantastisch. Sie hat einen fabelhaften Körper, was sie auch weiß, und wahrscheinlich ist sie ganz scharf darauf, ihn jemandem hinzugeben.
Und trotzdem würde ich alles für ein einziges Mal mit Kimberly geben.
Hey, Moment mal. Was mache ich da? Ich tue ja so, als könnte ich mir eine von ihnen aussuchen, dabei muss ich froh sein, wenn überhaupt irgendeine Frau was von mir will.
Als Versager darf man nicht wählerisch sein.
Apropos Versager: ich sollte jetzt endlich mit diesen Spielchen aufhören und mich auf die Suche nach Kimberly, Billie und Connie machen.
Aber das kann ich erst, wenn ich mein Tagebuch nachgetragen habe. Aber das sage ich mir schon die ganze Zeit, und langsam kommt es mir fast wie eine Ausrede vor, um länger im Lager bleiben zu können.
Wenn ich über die drei Frauen schreibe, erinnere ich mich an sie. Ich beschreibe, was sie getan haben, was sie gesagt haben, was sie anhatten und wie sie aussahen. Es ist fast so, als wären sie wieder bei mir.
Wenn ich über sie schreibe, habe ich sie in meiner Nähe.
Hey, da kommt mir ein Gedanke. Vielleicht sollte ich niemals aufhören, über sie zu schreiben, und wenn mir der Stoff ausgeht, erfinde ich einfach etwas, nur um weiter schreiben zu können.
Mein Tagebuch könnte so zum literarischen Winchester House werden. Ich mache einfach immer weiter und baue meinen Gespenstern ein Zimmer nach dem anderen.
Keine schlechte Idee, aber dazu brauche ich eine Menge Papier.
Wenn es mir ausgeht, kann ich im Sand weiterschreiben.
Hier liegt einer, dessen Name in den Sand geschrieben steht.
War das nicht die Grabinschrift von irgendjemandem? Von Keats, vielleicht?
Aber das führt nun wirklich zu weit. Jetzt bin ich zu müde und viel zu deprimiert, um noch weiter zu schreiben. Außerdem ist es fast dunkel.
Ich werde jetzt aufhören.
Morgen schreibe ich dann auf, wie wir besiegt wurden. Dann ist das Tagebuch auf dem neuesten Stand, und ich muss mir überlegen, was ich mache.
Noch ein Zimmer an mein Winchester House bauen?
Du meine Güte!
Ich frage mich, ob sie wirklich tot sind.
Und wenn nicht, was geschieht mit ihnen - was wird ihnen angetan -, während ich hier an diesem einsamen Strand sitze und in mein Tagebuch kritzle?
Nachtreise
Ein neuer Tag.
Vergangene Nacht wurde
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