Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
hervortun mussten. Ich fragte mich träge, wieso dieser Haufen glaubte, den Dunkelmeister ohne die Hilfe eines Wissenden finden zu können. Ich starrte sie an, verärgert über ihren Hochmut und ihr Selbstvertrauen, neidisch auf die Kameradschaft zwischen ihnen – und doch erkannte ich ihren Mut an und all die hochentwickelte, mit solcher Leichtigkeit geschwungene Energie.
Wie auch immer, ihre Anwesenheit wirkte wie ein Dämpfer auf die Stimmung im Schankraum. Selbst Janko ging auf Zehenspitzen zwischen ihnen herum. Noviss blickte genauso oft finster in ihre Richtung wie in meine; der Junge war so durchsichtig wie eine Qualle. Ich fragte mich, wieso er wegen der Wahrer so verärgert war, und ich fragte mich auch, wie lange Flamme es noch mit ihm aushalten würde. Sie besaß zehnmal so viel Verstand wie er.
Wie auch immer, es war Thor Reyder, der mich an diesem Abend am meisten interessierte. Seine Miene veränderte sich nicht (tat sie das jemals?), aber er war so angespannt wie ein Seepony, das sich zu lange außerhalb des Wassers aufgehalten hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass er die Wahrer auch kein bisschen mochte. Interessant.
Rasch nahm ich meine Mahlzeit ein und ging wieder nach oben. Wie ich erwartet hatte, hatte Flamme sowohl ihres als auch Noviss’ Zimmer mit Silbmagie verschlossen, aber das war für mich kein Problem. Ich öffnete die Türen einfach und ging ungehindert von irgendwelcher Magie hindurch. Zuerst durchsuchte ich ihr Zimmer, fand aber nichts, das von Interesse gewesen wäre. Es gab ein paar Kleidungsstücke, ein Stück Duftseife und einen Kamm und eine Bürste, allesamt von einer Qualität, die darauf hindeutete, dass sie nicht unter Geldmangel litt, aber es war nichts da, das mir einen Hinweis auf ihre wahre Identität oder den Verbleib des Burgfräuleins gegeben hätte.
Als ich mit meiner Suche halb fertig war, hatte ich das seltsame, prickelnde Gefühl, das man manchmal hat, wenn man beobachtet wird. Mein Herz machte einen Satz wie ein Ruderboot im Sturm. Ich sah auf und stellte fest, dass einige Vögel in der Dunkelheit auf dem Fenstersims hockten, und zwar auf der Innenseite. Sie waren wach und sahen mich mit leuchtenden, neugierigen Augen an. Ich entschied, dass ich eine armselige Einbrecherin war; meine Unruhe machte mich so empfindsam, dass ich sogar den Blick eines Vogels als unheimlich empfand.
Ich verließ ihr Zimmer und ging in das von Noviss, und dort hatte ich mehr Glück.
Ich fand ein Brevier unter seinen Sachen.
Und das konnte nur eines bedeuten: Er war ein Menode. Ein Mann Gottes. Mir fiel die Kinnlade herunter – dieser naive, unreife Junge war ein Laienbruder der Menoden? Es passte ganz und gar nicht mit dem zusammen, was ich über die Sekte wusste. Ich war immerhin von Menoden ausgebildet worden. Als Kind hatte ich manchmal ihre Disziplin und ihre Regeln und beständigen Versuche verabscheut, aus mir etwas zu schmieden, von dem sie dachten, dass ich es sein sollte – hauptsächlich deshalb, weil ich nie ein Einsiedlerkrebs mit einer sanften Schale gewesen war, dazu bereit, mich so zu verändern, dass ich in die Schale irgendeines anderen passen würde. Ich hatte ihre Güte allerdings geachtet. Später, als ich erwachsen war, hatte ich ein paar von ihnen näher kennen gelernt, Laienmitglieder beiderlei Geschlechts wie auch Patriarchen, und eine geheime Bewunderung für ihre tiefe Hingabe an das Gute empfunden. Erneut hatte ich gelernt, sie zu schätzen, hauptsächlich, weil sie so handlungsorientiert waren. Sie zogen es vor, etwas zu tun, statt die Zeit mit Reden darüber zu verbringen, was wie getan werden sollte. Öffentliche Predigten und Bekehrungen waren ihnen bei weitem nicht so wichtig wie den Fellih-Priestern. Und ganz sicher hatten sie nichts dagegen, Spaß zu haben, im Gegensatz zu den Fellih-Priestern. Auch wenn es ihr Glaube war, der sie zu guten Taten anhielt – ein Glaube, demzufolge sie dafür später in den Himmel kamen –, hatte ich immer das Gefühl gehabt, dass ihre Freundlichkeit und Mildtätigkeit aufrichtig waren.
Die Beziehung zwischen Menoden und Wahrern war oft seltsam, was erklären mochte, wieso Noviss die Wahrer unten in der Schenke so finster angestarrt hatte. Die meisten Bürger der Wahrer-Inseln, die keine Silbbegabten waren, huldigten in der Tat dem Gott der Menoden und verschrieben sich der Idee einer einzigen allmächtigen und allliebenden Gottheit. Es gab in der Nabe mehr Patriarchen und Gottesdienst-Häuser der Menoden als in
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