Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
denn so groß war Gorthen-Nehrung auch wieder nicht. Sie hatten einen erhöhten Stand errichtet, ein paar Laternen aufgehängt und predigten von dieser behelfsmäßigen Bühne. Sie ermahnten die Vorbeigehenden, ihre Lebensweise zu ändern, wenn sie nicht ewige Verdammnis erleiden wollten. Falls sie geglaubt hatten, auf diese Weise auf Gorthen-Nehrung irgendwen bekehren zu können, waren sie so dumm wie Langusten, die versuchten, aus dem Kochtopf herauszukommen. Man kann schwerlich Menschen mit der Hölle drohen, die bereits dort leben, und man kann sie auch schwerlich mit einer Vision vom Paradies verführen, wenn sie, um dorthin zu gelangen, auf alles verzichten müssen, was ihnen unterwegs dorthin begegnet und das auch nur ansatzweise vergnüglich ist. Die Einwohner von Gorthen-Nehrung gaben es ihnen natürlich so gut sie konnten zurück und unterbrachen den Sprecher ständig. Ich blieb stehen, um zuzuhören.
» Dein ist das ewige Leben, wenn du deine Lebensweise änderst«, rief einer der Prediger mit teilnahmslosem Ernst, während er einen Finger in Richtung eines Betrunkenen schwenkte, der nicht mehr geradeaus laufen konnte. » Fusel ist das Werk des Teufels, das dich hinunter zum Großen Graben und in die ewige Verdammnis zieht, wo du erstickend um Luft ringst, während die Dämonen aus der Tiefe des Abgrunds nach dir greifen …«
» Na und? Der alte Jop da geht gern unter, solange er nur seinen Fusel kriegt«, warf jemand ein.
» Ganz schön übel, dieser Fellih«, rief jemand anderes laut. » Leute so zu ersäufen.«
Der Sprecher ging auf diese Äußerungen nicht ein, sondern wandte seine Aufmerksamkeit jetzt mir zu. Er richtete seinen wackelnden Zeigefinger auf mich. » Und du, Ungläubige, wie kannst du es wagen, dein Geschlecht so in den Kleidern eines Mannes zur Schau zu stellen? Wie kannst du es wagen, der Welt deine Sünden mit deiner liederlichen Kleidung zu offenbaren? Schämst du dich nicht? Du verlockst Männer zur Sünde der Unzucht, so dass ihnen der Weg zum Paradies verstellt ist. Du lenkst ihre Gedanken ab, von Fellih zur Lust der niedersten Art – du solltest Reue über das Böse in dir empfinden. Du solltest deinen Körper mit Kleidern verhüllen und in Zukunft sittsam einherschreiten, die Augen zu Boden geschlagen, um nur deinem Ehemann zu dienen, damit du nicht in den Wassern der Hölle umkommst …«
» Nun, Glut, er hat offenbar Geschmack an Euch gefunden«, murmelte eine Stimme in mein Ohr.
Es war Thor Reyder, ausgerechnet er. Er stand gleich rechts von mir. Ich hätte nicht vermutet, dass er einen derartigen Humor besitzen würde, und fragte mich, ob er einfach nur sarkastisch war.
Unsicher, wie ich darauf reagieren sollte, suchte ich schließlich Zuflucht in völliger Grobheit. » Oh, haltet den Mund.«
» Entschuldigung«, sagte er leichthin. » Es ist abstoßend, nicht wahr? Wie vollkommen sie davon überzeugt sind, dass sie für eine höhere Macht sprechen.«
» Ganz zu schweigen von ihrer Überzeugung, dass alles Angenehme böse sein muss«, fügte ich hinzu und versuchte, mit einem Lächeln meine vorherige Schroffheit wiedergutzumachen. Der Prediger erging sich jetzt voller Überschwang darin, dass Singen ein Werkzeug des Teufels war und Tanzen seine Falle.
» Ich glaube, ich gehe lieber eine Runde sündigen. Das macht mehr Spaß, als dem da zuzuhören«, sagte ich laut genug, dass alle es hören konnten. Gelächter wogte durch die Zuhörerschaft. Ich nickte Thor zu und verschwand.
Ich machte in ein paar Bars Halt, trank ein paar Becher verwässertes Gebräu und stellte einige Fragen. Etwa eine Stunde später eilte ich – als Reaktion auf die Antworten, die ich bekommen hatte – zu einem Fremdenheim, das sich auf der anderen Seite des Hafens befand. Es handelte sich um einen Ort, der sowohl für die Qualität seiner Huren als auch für die des Fusels bekannt war, was beides in der Kellerbar zu finden war. Ich suchte nach dem Ghemf, das Niamor erwähnt hatte, was bedeutete, dass ich mich meinen eigenen Angelegenheiten widmete, die nichts mit denen der Wahrer zu tun hatten.
Es war ein recht angenehmer Ort, verglichen mit anderen Bars auf Gorthen-Nehrung. Es war sauber und ruhig, und die Frau, die am Eingang an der Kasse thronte, war so riesig wie ein Walkalb – und so furchteinflößend wie der Erzeuger des Kalbes, wenn sie mit störrischen Kunden fertig werden musste. Ich nickte ihr zu, und sie zog die Augen zusammen; sie erkannte mich also wieder. Sie hatte ein
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