Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
gutes Gedächtnis, immerhin war es fünf Jahre her, seit ich dort etwas getrunken hatte. Ich ließ meinen Blick rasch durch den Raum schweifen, während ich die Treppe hinunterging. Es schien sich nicht viel geändert zu haben, und ich konnte nichts Bedrohliches ausmachen: Hier waren keine bewaffneten Betrunkenen, keine drogenumnebelten Wahnsinnigen oder Rüpel, die es auf eine Schlägerei abgesehen hatten. Die Bar bestand noch immer aus der gleichen festgehämmerten Koralle, die Möbel – Tische und Stühle – waren aus der üblichen willkürlichen Mischung von Treibholz zusammengezimmert, und die Kerzen aus Walratöl waren noch immer von erstklassiger Qualität. Die Huren und die Kunden hatten sich möglicherweise verändert, aber Erstere verrieten ihre Langeweile genauso offenkundig wie ihre Vorgängerinnen, und Letztere wirkten genauso harmlos. Einige Wahrer vom Schiff waren hier. Und offensichtlich hatte auch Thor Reyder genug von den Fellih-Anhängern gehabt, denn auch er saß hier, zusammen mit einem Mann, der ein Handwerkerhemd im Stil der Wahrer trug, das schon bessere Tage gesehen hatte, ein armselig gekleideter Kerl, der sicherlich nicht zur Mannschaft des Herz der Wahrer gehörte. Ich konnte nicht den leisesten Hauch von Silbmagie bei ihm wahrnehmen, und es hätte mich nicht erstaunt, wenn er ganz und gar ohne jede Begabung gewesen wäre. Ihm fehlte die Zuversicht, die die Silbmagier der Wahrer stets verströmten.
Seltsamerweise war ich verärgert, dass Thor vor mir hier eingetroffen war, und nickte ihm daher nur schwach zu, bevor ich zu dem Wesen ging, das mich wirklich interessierte: das Ghemf. Es saß allein da, vor sich ein Glas Gebrautes, das es noch nicht angerührt hatte. Ein Ring aus leeren Tischen hatte sich um ihn herum gebildet: Es war eine Angewohnheit der Leute, viel Platz um ein Ghemf herum zu lassen, auch wenn ich den Grund dafür nicht kannte. Ich hatte noch nie gehört, dass ein Ghemf jemals einem Menschen etwas getan hätte, und es konnte auch nicht daran gelegen haben, dass sie so übermäßig schlecht gerochen hätten. Tatsächlich hätte man denken können, wenn man eines aus der Ferne sah, dass es sich um einen hässlichen Menschen handelte: groß, schlaksig, unbeholfen, aber menschlich. Erst, wenn man sich einem Ghemf näherte, sah man die Unterschiede. Ghemfe hatten zum Beispiel keine Haare. Und ihre Hautfarbe war grau, zumindest im Gesicht, denn je tiefer man kam, desto dunkler wurde ihre Haut; ihre Füße waren beinahe kohlrabenschwarz. Ihre Gesichtszüge waren ziemlich unansehnlich, die Nase und die Ohren platt, die Augen ohne irgendwelche Wimpern oder Brauen. Ihr Geschlecht ließ sich weder aus ihrem Gesicht noch aus ihrem Körperbau ablesen, und da sich beide Geschlechter gleich kleideten und auch gleich klangen, konnte man unmöglich sagen, ob man einen männlichen oder einen weiblichen Ghemf vor sich hatte.
Es gab noch andere Unterschiede. Sie hatten vier Daumen, einen auf jeder Seite der Handfläche. Die Hände unterschieden sich voneinander. Die linke Hand hatte gedrungene Finger mit einem Griff, der stark genug war, um eine Muschel zu zerbrechen; die Rechte hatte lange, geschickte Finger, die sich für feinere Aufgaben eigneten. Sie trugen niemals Schuhe, und ihre langen, dünnen Zehen waren mit Schwimmhäuten versehen und hatten einziehbare Krallen. Ich war immer davon ausgegangen, dass sie Schwimmhäute hatten, weil sie damit besser schwimmen konnten, aber ich kann nicht behaupten, dass ich wirklich mal eines im Wasser gesehen hätte.
Mein Wissen über Ghemfe war tatsächlich ziemlich oberflächlich; wie die meisten Leute hatte ich nur sehr wenig mit ihnen zu tun. In jener Zeit gab es gewöhnlich nur eine einzige Ghemf-Familie pro Stadt, wenn es auch in den größeren Städten eine Art kleinerer Gemeinschaften gegeben hatte. Vor dem Großen Wandel konnten sich auf den gesamten Ruhmesinseln nicht mehr als zwanzig- bis dreißigtausend erwachsene Ghemfe aufgehalten haben. Sie waren langlebig und pflanzten sich nur langsam fort, und sie hatten gewöhnlich nur ein oder zwei Kinder.
Sie blieben unter sich und wurden den größten Teil der Zeit von uns Übrigen ignoriert, außer wenn eines unserer Neugeborenen eine Tätowierung als Zeichen der anerkannten Bürgerrechte benötigte. Dann, wenn die Eltern die erforderlichen Papiere von einem Bürgerrechtsbüro erhalten hatten, nahmen sie diese Papiere und das Kind und gingen zum nächsten Ghemf. Gegen ein Honorar fertigte
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