Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
entsprechenden Gebieten, in denen sie angeblich gelebt hatten, waren keinerlei Artefakte zu finden.
Diese Diskrepanz zwischen der mündlichen Geschichte und den greifbaren Beweisen stellt eines der faszinierendsten Mysterien der Ruhmesinseln dar und ist durchaus eine weitere Untersuchung wert. Es wird allerdings ein schwieriges Unterfangen sein, da viele Menschen sich sehr zurückhaltend verhalten, wann immer Ghemfe auch nur erwähnt werden. Wieso es überhaupt nötig war, mythologische Wesen zu erfinden, ist unbekannt. Ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass die Leute angesichts der alten, offensichtlich drakonischen Bürgerrechtsgesetze Scham empfinden. Möglicherweise handelte es sich bei diesem Mythos um eine gesellschaftlich akzeptierte Einrichtung, die es den Wahrern gestattete, diese Gesetze durchzusetzen, indem sie behaupteten, dass es eine außerirdische Spezies wäre, die wirklich dafür verantwortlich war. An dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass wir, wann immer wir Bürger fanden, die bereit waren, uns Auskunft zu geben – so wie die ältere Dame Glut Halbblut –, deren Glaube an Ghemfe so tief wurzelte, dass er unauslöschbar war. Vielleicht ist bei diesen Menschen die Trennung zwischen Mythos und Wirklichkeit durch die Erinnerung und die Zeit verwischt worden.
Die gegenwärtig auf den Inseln des Ruhms lebenden Menschen sind natürlich zutiefst abergläubisch und leichtgläubig, wie ihr Glaube an alte Magie verrät. Man darf sich nicht durch den Stand ihrer materiellen Entwicklung täuschen lassen. Diese mag durchaus über denen anderer eingeborener Völker liegen, die wir Kellen im Laufe des letzten Jahrhunderts oder sogar vor noch längerer Zeit auf unseren Reisen entdeckt haben, aber sie haben noch immer nicht eine Stufe philosophischer Kultiviertheit erreicht, die unserer eigenen auch nur annähernd nahe käme! Als ich die Segelschiffe und Waffen sah, die sie besitzen, habe auch ich mich zunächst täuschen lassen, aber sie sind dennoch Barbaren und haben die Überzeugungen von Barbaren. Ihre Religion ist zwar monotheistisch, entspricht aber dennoch nicht dem wahren Glauben der Kellen. Sie anerkennen zum Beispiel nicht, dass Gott sich noch immer verdienstvollen Menschen als Person offenbart; sie glauben auch nicht, dass Gott einst unter uns gewandelt ist, in all seiner Herrlichkeit, um uns die Gesetze eines gottesfürchtigen Lebens zu lehren. Ich war so begeistert von dem Material über die Ruhmesinseln, dass ich mich immer wieder selbst an diesen grundlegenden Fehler in ihrer Kultur erinnern musste.
Aber ich schweife ab. Vielleicht sollte ich darauf hinweisen, dass es eine andere Theorie gibt, die man hier im Fachbereich diskutiert. Sie geht davon aus, dass es Ghemfe tatsächlich gab und sie schlicht und einfach ausgestorben sind, wie es häufig bei Eingeborenenvölkern der Fall ist, die in Kontakt mit einer fortgeschritteneren Zivilisation kommen – wobei es sich bei der fortgeschritteneren Zivilisation in diesem Fall nicht um die der Kellen handelt, sondern um die derjenigen, die jetzt auf den Ruhmesinseln leben. Dieser Theorie nach waren die Ghemfe natürlich in Wirklichkeit Menschen, die jedoch einige Rassenmerkmale aufwiesen, die Anlass zu unzähligen Mythen bezüglich ihrer körperlichen Beschaffenheit boten. Diese Theorie erklärt nicht all die Besonderheiten und Abweichungen, aber sie ist dennoch verlockend, und es scheint, als könnten wir sie leichter nachvollziehen als die Idee, dass sie ein Produkt der Einbildung der Inselbewohner sind. Ich verfolgte diese Sache natürlich weiter.
Du scheinst ziemlich fasziniert von Glut zu sein. Sie ist die erstaunlichste alte Dame, die ich kenne, und ich wünschte, ich hätte sie überreden können, mit mir nach Kell zu kommen. Sie wäre ein wunderbares lebendes Beispiel bei einer öffentlichen Ausstellung gewesen. Ich habe einen weiteren Stapel Übersetzungen der Gespräche mit der schwertschwingenden Dame bearbeitet, die ich dir hiermit zur Erbauung beilege. Der Übersetzer war übrigens wieder der Schreiber Nathan. Ich kann gar nicht sagen, wie viel ich ihm schulde. Obwohl meine Sprachkenntnisse bezüglich der Ruhmesinseln dank meiner Studien – ich hatte mich mit Papieren auseinandergesetzt, die die ersten Händler und Forscher mitgebracht hatten – einigermaßen brauchbar sind, hätte ich ohne Nathan nicht annähernd so viel zustande gebracht. Er ist der Sohn des legendären Händlers Vadim i. Pellis und gelangte 1780 als Junge
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