Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
das Ghemf die Tätowierung an und legte den jeweiligen, für die Insel charakteristischen symbolischen Edelstein ein – aber nicht, bevor es nicht absolut sichergestellt hatte, dass die Bürgerrechtspapiere auch in Ordnung waren. Ghemfe wirkten tatsächlich wie so eine Art von Wache über die Bestechlichkeit der Beamten, die mit den Fragen der Anerkennung von Bürgerrechten zu tun hatten. Sie waren so gewissenhaft, dass es als unmöglich galt, einem Kind, das kein Recht auf eine Tätowierung hatte, eine zu beschaffen. Und Ghemfe ließen sich niemals, absolut niemals mit Geld bestechen, auch wenn sie alle nicht reich waren. Soweit ich wusste, bestand ihre einzige Bezahlung in dem, was sie für das Anfertigen der Tätowierungen erhielten. Seltsamerweise waren sie nicht darauf aus, selbst eine Tätowierung mit den Bürgerrechten zu erhalten, und dennoch wurde ihr Recht, nach Belieben kommen und gehen zu dürfen, von keiner Autorität in Frage gestellt, nicht einmal von den Wahrern.
Niemand wusste, wann oder wie sie dazu gekommen waren, die Aufgabe des Tätowierens zu übernehmen; es war einfach schon immer so gewesen. Weil sie taten, was sie taten, weil niemand sonst wusste, wie es so gut gemacht werden konnte, weil sie unbestechlich waren, waren sie unersetzlich. Also wurden sie toleriert, sogar geachtet, denn man brauchte sie. Aber man mochte sie nicht, und man verstand sie nicht.
Wie die meisten Leute fand auch ich sie ziemlich hässlich. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen lehnte ich sie vor allem wegen ihrer Starrheit und Unnachgiebigkeit bei der Anfertigung der Symbole der Bürgerrechte ab. Wären Ghemfe etwas flexibler oder bestechlicher gewesen, wäre das gesamte System erträglicher gewesen, oder, noch besser, es hätte gar nicht erst so existieren können. Leute wie ich wären dann nicht als Ausgestoßene betrachtet worden, als etwas Geringeres als ein Mensch.
Es war verwirrend, eines dieser Geschöpfe hier auf Gorthen-Nehrung zu sehen. Auf Gorthen-Nehrung gab es so etwas wie Bürgerrechte nicht, und daher bot sich auch keine Arbeit für einen Tätowierer von Bürgerrechten an; höchstens, wie ich vermutete, Aufträge des einen oder anderen eigenartigen Seemanns, der sich eine nackte Frau auf den Unterarm tätowieren lassen wollte.
Ich habe es ja schon gesagt, die Nehrung suchte man auf, wenn man sonst nirgends hinkonnte. Seine Einwohner wurden nicht einmal als Volk angesehen. Es gab keine Regierung, kein Gesetz – oder besser gesagt kein anderes als das, was man aus der eigenen individuellen Kraft bezog. Warum also sollte ein Ghemf dorthin gehen? Der einzige Grund, den ich mir vorstellen konnte, war der, dass auch er ein Ausgestoßener war, ein Abtrünniger. Und Abtrünnige konnten gekauft werden ...
Ich ging quer durch den Raum zu seinem Tisch und blieb vor ihm stehen. » Darf ich mich zu Euch setzen?«, fragte ich und unterdrückte meinen Abscheu für seinesgleichen.
Das Geschöpf blickte auf; sein Gesicht war ausdruckslos. Soweit ich wusste, verrieten Ghemfe nie irgendwelche Gefühle, die von Menschen hätten erkannt werden können. Es neigte den Kopf auf eine Art und Weise, die man für Zustimmung halten konnte, und so setzte ich mich. Als Antwort auf meine erhobene Hand kam der Kellner und stellte zögernd einen Becher Gebrautes vor mich hin.
Ich beherrschte die Sprache der Ghemfe natürlich nicht. Niemand konnte sie sprechen, außer ihnen selbst. Allerdings spielte das auch keine Rolle; alle Ghemfe verstanden die Sprache der Inseln des Ruhms und konnten sie benutzen, wenn es sein musste. Aber die meiste Zeit sagten sie gar nichts. So waren sie eben.
» Ich heiße Glut Halbblut«, sagte ich mit leiser Stimme.
Das Wesen neigte wieder seinen Kopf, aber es verriet mir nicht seinen Namen. Soweit ich wusste, hatten Ghemfe gar keine.
Da ich wusste, dass sie Unterhaltungen hassten, kam ich gleich zur Sache. Unauffällig schob ich meine Haare vom Ohr zurück und sagte: » Wie zu sehen ist, besitze ich kein Bürgerrecht.«
Das Ghemf wusste sofort, was ich wollte, und ließ mir nicht die geringste Möglichkeit, die Frage in andere Worte zu fassen. » Nein«, sagte es, und in dem einzelnen Wort lag eine auf brutale Weise unmissverständliche Klarheit.
Ich fuhr mit der Zunge über meine trockenen Lippen. » Für keinen Preis?«
Es schüttelte den Kopf.
» Ah.« Ich machte eine Geste der Kapitulation mit den Händen und lächelte reuevoll. » Es war einen Versuch wert.« Ich hob meinen Becher zum
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