Die Inseln des Ruhms 01 - Die Wissende
nahm. Ich muss damals etwa zwölf Jahre alt gewesen sein und hatte gerade meine erste Periode gehabt. Die Patriarchen, die mich unterrichteten, waren deshalb irgendwie verlegen und ratlos; sie kamen zu dem Schluss, dass ein pubertierendes Mädchen ganz sicher eine Ablenkung für pubertierende Jungen darstellte, ganz zu schweigen von den zumeist zölibatär lebenden Patriarchen. Also setzten sie Dasrick darüber in Kenntnis, dass sie mich nicht länger unterrichten würden. Dasrick brachte mich in einer Mädchenschule unter – nicht der gleichen wie der, in der ich ganz zu Beginn einmal gewesen war, sondern in einer anderen.
Eine ungeeignetere Schule hätte er kaum finden können.
Es handelte sich um eine Elite-Schule für Kinder, von denen bereits feststand, dass sie eines Tages auf die eine oder andere Weise für den Rat arbeiten würden. Alle dort besaßen Silbmagie und waren dabei zu lernen, wie sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen konnten. Die Schule war überflutet mit Illusionen, Täuschungen, Zaubersprüchen und silbischen Spitzfindigkeiten … von denen jede einzelne für mich so durchscheinend war wie ein Glas mit Quallen. Als mutige Zwölfjährige, die einen Komplex von der Größe eines Walkiefers mit sich herumschleppte, hatte ich für ihre Spiele und ihre silbischen Lügen nichts als Verachtung übrig, und das ließ ich sie auch spüren. Kein Wunder also, dass ich von allen abgelehnt wurde. Und ein Haufen pubertierender Schulmädchen, die auf Rache aus sind, können enorm einfallsreich sein, wie ich bald herausfand …
Es herrschte ständig Krieg zwischen uns, und ich konnte mich nie auch nur für eine Minute entspannen.
Allerdings habe ich gar nicht an so vielen Unterrichtsstunden teilgenommen, weil die meisten sich auf die Anwendung und Weiterentwicklung der Silbbegabung konzentrierten. Dafür musste ich alles über die Ruhmesinseln lernen, über ihre Politik, Geographie und Geschichte. Und da inzwischen abzusehen war, wie groß ich werden würde, ließ Dasrick mich als Kämpferin ausbilden: im Schwertkampf, Bogenschießen, Schwimmen und Klettern. Ich hatte inzwischen erkannt, dass er seine eigene Vorstellung davon hatte, was aus mir werden würde: ein Werkzeug, jemand, der nach seiner Pfeife tanzen und doch stark genug sein würde, um sich selbst um sich zu kümmern.
Ich suchte weiter nach irgendeinem Hinweis auf Fürsorge, nach einem Zeichen, dass er sich aus mir als Mensch etwas machte - und wurde weiter enttäuscht. Dennoch hörte ich nicht auf zu suchen. Ich war schließlich nur ein Kind …
Sie benutzten mich genauso, wie sie mich vorher benutzt hatten. Gewöhnlich pflegte Dasrick oder einer seiner Mitarbeiter in der Schule aufzukreuzen und mich mitzunehmen, damit ich die eine oder andere Aufgabe erledigte, bei der ein Wissender gefragt war.
Ich war noch nicht lange in dieser Schule, als ich das erste Mal den Duft einer anderen Insel schnuppern durfte. Dasrick schickte mich als Page zu Syr-Silb Arnado, einem wohlhabenden Mann mittleren Alters, der im Dienst des Rates stand, um gemeinsam mit ihm einen Auftrag zu erfüllen. Arnado war eine der besten Wachen, die der Rat besaß, ein berühmter Schwertkämpfer, dem nachzueifern der Traum eines jeden jungen angehenden Schwertkämpfers war – und so auch meiner. Zuerst war ich voller Ehrfurcht und brachte in seiner Gegenwart kaum mehr als zwei vollständige Sätze an einem Stück heraus. Er ließ es am ersten Tag auf sich beruhen, aber als das Schiff der Wahrer am zweiten Tag die Meerenge entlangfuhr, die uns von der Nabe weg zu den Speichen führte, schlug er einen kleinen Übungskampf zwischen uns vor. Natürlich war es kein richtiger Übungskampf – es war eher so, dass er mich unterrichtete –, und glücklicherweise wich meine Ehrfurcht schon bald dem Wunsch, möglichst viel von ihm zu lernen. Wir beendeten diese Reise als beste Freunde. Ich brachte ihn mit meinem schamlosen Verhalten und meiner direkten Art, die Dinge zu benennen, zum Lachen. Ich hielt ihn für den geduldigsten und nettesten Mann, dem ich jemals begegnet war. Natürlich tat ich mein Möglichstes, um es ihm gleichzutun, und zweifellos war das ein lächerlicher Versuch, aber ich würde gern denken, dass ein Teil seines Glanzes auf mich abgefallen ist. Ich hatte nie das Benehmen eines sanften Höflings erlernt, aber ich konnte ihn eine Weile angemessen nachahmen, wenn es sein musste, und das verdanke ich Arnado. Vielleicht bestand das Beste, das er je für mich getan
Weitere Kostenlose Bücher