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Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler

Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler

Titel: Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenda Larke
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einen kleinen Felsknubbel gleich unterhalb meines Absatzes. Ich stand auf und trat ihm in einer einzigen, raschen Bewegung mit meinem Stiefel fest auf die Finger, spürte die Befriedigung, das Brechen seiner Fingerknöchel riechen zu können. » Für Lyssal«, sagte ich. Es war eine Lüge; ich brauchte nur einfach einen Grund, die Grausamkeit vor mir selbst zu rechtfertigen.
    Er schrie, und mein Stiefel begann zu qualmen, aber die Magie konnte irgendwie nicht Fuß fassen. Ich hob den Fuß an, und er riss seine Hand weg. Ich hatte ihn wirkungsvoll verkrüppelt. An der anderen Hand, die noch immer das Seil umklammerte, fehlten ihm ein paar Finger. Dafür hatte Glut gesorgt, auf Gorthen-Nehrung.
    Er riskierte einen Blick nach unten. Die Wellen auf dem Wasser waren kaum mehr als angedeutete Linien. Es war unmöglich, dass irgendjemand einen Sturz aus dieser Höhe überleben konnte. Ich fragte mich, ob er noch über genug Macht verfügte, um Xolchasturm dem Erdboden gleichzumachen und uns alle zu töten.
    » Komm und krieg mich, du sommersprossiger Tomatenkopf«, schrie er mich an, aber all seine Wut konnte seine Angst nicht verbergen.
    Und so dumm war ich nicht. » In die Enge getriebene Graslöwen kratzen am tiefsten«, so hieß ein nur zu bekanntes Sprichwort auf dem Dach von Mekaté. Ich sah mich um. Ein Stein war von oben herunter und neben mich gefallen, hatte sich vom Fels gelöst, als Morthred mich mit seiner Dunkelmagie angegriffen hatte. Ich hob ihn mit beiden Händen auf. Er war so groß wie ein Kürbis der Ebene, aber sehr viel schwerer. Ich hielt ihn direkt über seinen Kopf. Er sah auf. » Alles«, sagte er, und die Ruhe in seiner Stimme spiegelte nicht die Angst wider, die ich in seinem Schweiß roch. » Ich gebe dir alles. Du musst nur sagen, was. Was willst du, Mekatémann? Reichtum? Macht? Gefügige Frauen?«
    Jetzt jubilierte etwas in mir. In diesem Moment war er zu einem Nichts geschrumpft. Er war nicht länger ein mächtiger Dunkelmeister, der die Dunstigen Inseln versenkt hatte, dies war kein furchterregender Zauberer mehr, der die Silbbegabten der Wahrer umgewandelt hatte, dies war nicht mehr der mächtige Mann, der sich seinen Weg quer über die Inseln gebahnt hatte, indem er andere gequält und vergewaltigt hatte. Er hätte sein letztes bisschen Magie dazu benutzen können, die Felswand in Stücke zu reißen und uns beide in den Tod zu stürzen, aber die Angst vor dem Sterben machte ihn völlig machtlos. Am Ende seines Lebens war er nur ein gewöhnlicher, verängstigter Mann, nicht anders als alle anderen auch, und feilschte in seinen letzten Momenten um Erlösung. In diesen Sekunden hatte ich fast Mitleid mit ihm. Fast.
    Ich ließ den Stein fallen.
    Und doch war es nicht so leicht, nicht einmal jetzt. Er schleuderte dem Stein einen Blitz aus Dunkelmagie entgegen, der daraufhin in tausend Stücke zerbarst. Steinsplitter prasselten auf mich ein, scheuerten mir die Haut im Gesicht und an den Händen auf. Der Staub und die Steinchen fielen auf ihn zurück, und er hob seine verletzte Hand, um sich vor dem Hagelschauer zu schützen. In diesem Moment bekam ich meine Chance. Ich warf mich flach auf den Absatz, packte ihn an den Haaren und zog ihm mit einer geschmeidigen Bewegung den Dolch über die Kehle. Verzweifelt darum bemüht, mich aufzuhalten, ließ er das Seil los und packte mich am Handgelenk. Dann begann er in die Tiefe zu stürzen und zog mich dabei mit.
    Ich ließ den Dolch fallen, als sein Gewicht mich vom Absatz herunterzuziehen begann, und griff mit der freien Hand nach dem Netz. Eine schreckliche Minute lang war dieses Stück Seil, das ich mit einer Hand umklammerte, alles, was uns beide davor bewahrte, ins Wasser zu stürzen. Mit außerordentlicher Klarheit begriff ich, dass es nur darum ging, wer von uns beiden länger festhalten konnte – oder ob das Netzwerk selbst überhaupt noch hielt. Direkt oberhalb von uns war schon ein beträchtlicher Teil zerfetzt oder verbrannt.
    Blut sickerte aus dem Schnitt in seiner Kehle. Ungläubig begriff ich, dass ich die Halsschlagader nicht durchtrennt hatte. Er würde nicht verbluten, jedenfalls noch nicht. Er sah mich an, versuchte mich mit seinem Hass zu verbrennen. Und doch fragte er immer noch, wollte er es immer noch unbedingt wissen, auch wenn er nur noch lautlose Worte formen konnte. Wer bist du? Er konnte sehr fest zupacken, trotz der fehlenden Finger. Wer? Ich spürte, wie ich entzweigerissen wurde. Er streckte den anderen Arm aus und

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