Die Inseln des Ruhms 02 - Der Heiler
lösen. Es war ihre Schwäche, nicht Eure.«
» Sie hat mit Euch darüber gesprochen?« Ich war verletzt. Sogar eifersüchtig.
» Ja, indirekt. Wir haben über vieles gesprochen. Sie wusste, dass sie sterben würde. Sie wollte, dass es jemand verstand, und ich war da.«
Plötzlich erkannte ich die Wahrheit. » Sie hätte mit Euch gehen können, nich wahr? Sie hätte auch entkommen können. Ihr habt es ihr angeboten! Bei den Himmeln, sie hat sich geweigert, die Freiheit anzunehmen, die Ihr ihr geboten habt.«
Glut sah mich mit einem Blick voller Mitgefühl an. » Ja.«
Ich zitterte, mein gesamter Körper bäumte sich gegen diesen Gedanken auf. » Den ganzen Nachmittag bin ich herumgelaufen, um jemanden zu finden, der mir zuhören würde, jemanden, der die Macht hat, die Steinigung aufzuhalten. Einen Menoden-Patriarchen. Den Befehlshaber der Wachen. Den Kanzler. Den Havenherrn. Und die ganze Zeit über hatte sie die Mittel für ihre Rettung in der Hand gehabt und sie abgelehnt.« Ich verspürte große Bitterkeit gegenüber Jastriá, und ich kämpfte dagegen an. Sie war tot ; wie konnte ich wütend auf sie sein? Und doch war ich es.
» Es war ihre Entscheidung«, sagte Glut.
Ich starrte sie an, lenkte meine Wut auf jemanden, der sie zumindest verdiente. » Und Ihr konntet sie nich überreden? Habt Ihr es überhaupt versucht ?«
Ihre Augen blitzten, aber sie antwortete ruhig: » Ich habe ihr gedroht, sie bewusstlos zu schlagen und auf meinen Schultern rauszuschleppen. Sie hat gesagt, dass sie schreien und den Wachen sagen würde, dass ich einen Dietrich und ein Schwert hätte. Also habe ich sie gelassen. Ihr Wunsch zu sterben war größer als mein Verlangen danach, ihr unbedingt das Leben retten zu müssen, und das ist die Wahrheit.«
Und das war sie tatsächlich; meine Nase bestätigte ihre Ehrlichkeit.
Ich brauchte eine Weile, um etwas in Worte fassen zu können, das in meinem Hinterkopf genagt hatte: ein Geschwür, das nicht verschwinden wollte, wie sehr ich auch versuchte, es unbeachtet zu lassen. » Irgendwie kann ich nich aufhören zu denken, dass … dass sie wollte, dass ich derjenige bin, der sie tötet, weil …« Aber ich konnte den Gedanken nicht aussprechen. Es war zu schrecklich.
Zuerst wusste sie nicht, wovon ich sprach. Dann sah sie mich verblüfft an. » Ihr meint, nicht aus Angst vor dem Schmerz, sondern einfach nur, um Euch wehzutun?«
Ich nickte und versuchte es zu erklären. Dabei war ich mir die ganze Zeit im Klaren darüber, dass ich mit einer Frau sprach, die ein Schwert trug. Und es war ganz offensichtlich nicht als Schmuckstück gedacht. » Einen anderen Menschen zu töten is das Schlimmste, das einer vom Himmelsvolk tun kann. Es is das eine Verbrechen, das mit dauerhafter Verbannung bestraft wird. In der Himmelsebene töten wir nich einmal Mäuse. Für mich is es sogar noch schlimmer, denn ich bin Arzt, Heiler, ich habe mich dem Retten von Leben verschrieben.« Meine Stimme verebbte zu einem Flüstern. Ich konnte die Wort fast nicht aussprechen. » Sie zu töten hat … meine Seele befleckt. Für immer. Sie muss gewusst haben, dass es so sein würde. Glut, was habe ich ihr so Schreckliches getan, dass sie glaubte, ich hätte es verdient ?«
Sie dachte darüber nach, und dann konnte ich die Verachtung riechen, die ihren Gedanken anhaftete. Sie glaubte, dass ich Jastriás Tragödie zu meiner eigenen machte, aus irgendeinem verzerrten Grund meiner verdrehten Seele. Sie sagte nicht: Dies ist nicht Euer Fehler, Mistkerl, aber ich sah das Gefühl in ihren Augen, ich roch es auf ihrer Haut. Ihre Verachtung hatte das Aroma von brennendem Öl.
Ich machte es ihr nicht zum Vorwurf. Sie kannte mich nicht, sie kannte Jastriá nicht, sie kannte das Himmelsvolk nicht. Vermutlich hatte sie Leute getötet, um am Leben zu bleiben, und sie hatte nicht den letzten Blick gesehen, den Jastriá mir in den Augenblicken vor ihrem Tod zugeworfen hatte. In den letzten Momenten hatte Jastriá triumphiert, und es war die Art von Triumph, die ein Sieger zur Schau zu stellen pflegt, der einen verhassten Gegner verhöhnt. Sie hatte geglaubt, dass sie eine Schlacht gewonnen hatte, von der ich nicht einmal wusste, dass sie überhaupt geschlagen wurde. Ich fühlte mich wie ausgeweidet.
In meinem Herzen wusste ich, dass ich die Antwort auf die Frage finden musste, die ich Glut gestellt hatte. Doch selbst wenn ich sie fand, war ich mir nicht sicher, ob ich jemals Frieden finden würde; ohne sie allerdings würde der
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