Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
verbitterten Kummers in die Ferne starrte. Er war ein Mann voller Widersprüche. Er hatte einen trockenen Humor, auch wenn er für sich selbst selten mehr als ein ironisches Lächeln übrig hatte. Von seiner Arbeit mit den Dunstigen wusste ich, dass er voller Mitgefühl war, und doch wirkte er zu anderen Zeiten intolerant, besonders dann, wenn er es mit der Dummheit von Untergebenen oder anderen Patriarchen zu tun hatte. Und dann war da diese Dunkelheit in ihm, die mich verunsicherte, als gäbe es an mir eine juckende Stelle, an der ich mich nicht kratzen konnte.
Gilfeder war sogar noch weniger leicht zu deuten. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein blauäugiger Junge vom Land, der zum ersten Mal in die Stadt gekommen war. Er konnte über Dinge außer sich geraten, die für mich so gewöhnlich waren, dass ich sie kaum wahrnahm, angefangen von Läden mit heißer Schokolade oder der täglichen Müllsammlung bis hin zum städtischen Wassersystem. Und doch erschien er zu anderen Zeiten so scharfsinnig und lebensklug wie eine Stadthure aus den Hafengassen. Er besaß ein instinktives Verständnis für Menschen. Ich rechnete damit, dass er sich leicht durch Betrüger hereinlegen lassen würde, die stets auf unachtsame Neulinge aus waren, aber so war es nicht. Manchmal hatte ich das Gefühl, als könnte er meine Gedanken lesen, als würde er sogar spüren, dass ich das Ziel hatte, alles zu verraten, was sie taten. Ganz sicher zögerte er, mir genauer zu erklären, was sie mit ihrem Wissen vorhatten.
Dennoch, weil er so allein an einem für ihn seltsamen Ort war, versuchte ich, freundlich zu ihm zu sein. Ich nahm ihn zu meinen Freunden mit. Er passte nicht zu ihnen. Er war weder am Trinken noch an Frauen interessiert– den wichtigsten Leidenschaften der Gezeitenreiter, mal abgesehen vom Gezeitenreiten–, und obwohl er mich mehrere Male begleitete, wenn ich die Hafenschenken aufsuchte, genoss er es ganz offensichtlich nicht. Das Seltsame war, dass er mich dazu brachte, mich mit neuen Augen zu sehen, und ich anfing, mich zu fragen, ob ein Abend mit Marten und den anderen wirklich so viel Spaß brachte, wie ich einmal gedacht hatte. Sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken und ein paar Barmädchen in den Hintern zu zwicken wirkte plötzlich irgendwie… kindisch, oder zumindest wirkte es kindisch, wenn Gilfeder dabei war. Natürlich war es auch gut möglich, dass mein neues Verhalten etwas mit den Gefühlen zu tun hatte, die ich Jesenda entgegenbrachte.
Als ich eines Tages vom Wellenreiten mit meinen Freunden zurückkehrte und wir unsere Gleiter zurückbrachten, fand ich ihn am Strand. Ich dachte, er würde auf mich warten, aber er starrte nur mit einem versonnenen Blick aufs Meer. » Mögt Ihr den Ozean?«, fragte ich und stellte meinen Gleiter im Sand auf, damit er trocknen konnte.
Er schüttelte den Kopf. » Nich besonders. Ich bin ein gutes Stück entfernt von der Küste aufgewachsen. Nein, Junge, es is nur der weite, offene Raum, den ich liebe, und die See is so ein Raum. Ich genieße das Aroma des Windes, wenn er so wie jetzt von Süden kommt. Ich finde Städte zu eng. Zu vollgestopft mit Gerüchen.«
Ich nahm mein Handtuch und begann, mich abzutrocknen. » Reyder hat mir gesagt, dass Ihr vom Dach von Mekaté stammt. Er hat gesagt, dass es aus grasbewachsenen Ebenen bestehen würde und es dort nicht sehr viele Menschen gibt.«
» Ja, das is richtig. Er hat offensichtlich vergessen zu sagen, dass es zugleich der schönste Ort der ganzen Ruhmesinseln is.« Er lächelte mich an. » Er war noch nich da, wisst Ihr.«
» Wenn es da so schön ist, wieso seid Ihr dann weggegangen?«
Sein Lächeln verschwand. » Ich bin verbannt worden.«
» Warum?«
» Weil ich meine Frau getötet habe.«
Ich war sprachlos. Wenn ich mir über irgendetwas sicher gewesen war, dann darüber, dass dieser Kelwyn Gilfeder ein sanfter und nicht gewalttätiger Mann war. Wenn überhaupt, war er übermäßig mit den Gefühlen anderer beschäftigt und kaum die Sorte Ehemann, die gegen ihre Angetraute die Hand erheben würde. Ich raffte schließlich meinen Verstand zusammen und sagte: » Und diese Aussage– so ganz ohne jede weitere Erklärung, die ihr sicherlich zugrunde liegen muss– ist Euer Weg, Euch für das zu bestrafen, was wirklich geschehen ist, vermute ich?«
Er lächelte leicht. » Selbstschinderei als Abführmittel für Schuld? Ihr habt wahrscheinlich recht. Ich wünschte nur, es würde funktionieren. Lasst Euch von einem alten
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