Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
jemanden mit diesem Zeichen in der Hand«, sagte ich. » Aber diese Person war kein Mann und kein Heiler, und sie stammte nicht aus Breth und verfügte nicht über Silbmagie.« Ich streckte die Hand aus und berührte Kerens Ohr, wo eine Tätowierung immer wieder sichtbar und unsichtbar wurde. Meine Finger ertasteten ein leeres Ohrläppchen. Ich suchte seinen Blick und versuchte, die Silbmagie zu durchdringen. Sie teilte sich zu Strängen, die weicher wurden, durchlässiger. » Ihr Name war Glut«, sagte ich.
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Anyara isi Teron: Tagebucheintrag
16 – 1 . Einzelmond – 1794
Ich gebe zu, dass ich nie auf die Idee gekommen bin, Keren könnte Glut sein. Dumm von mir, ich weiß. Vielleicht bin ich meiner kellischen Erziehung zum Opfer gefallen. Die Vorstellung, dass eine Frau so tun könnte, als wäre sie ein Mann, ist mir so fremd, dass es fast undenkbar ist. Beinahe so undenkbar wie die Vorstellung, dass ein Junge so tun könnte, als wäre er ein Mädchen.
Und dennoch, warum nicht? Es hat funktioniert, oder nicht? Sie haben alle getäuscht. Sie haben sich den besten Platz verschafft, den sie nur finden konnten – bei der Geburt des Kindes würden sie als Heiler an Flammes Seite sein.
Wie einfach gestrickt ich doch immer noch bin! Wie gebunden an die Regeln der Welt, in die ich hineingeboren wurde! Damen müssen damenhaft sein. Wir dürfen keine Männerkleidung tragen, wir dürfen uns nicht wie Männer benehmen oder wie Männer reden, wir dürfen nicht so tun, als wären wir Männer, und ganz sicher dürfen wir nicht die gleichen Ziele haben wie Männer.
Nathan lachte, als ich zugab, dass ich ein bisschen … nun ja, entsetzt bin. Ihr seid naiv, sagte er. Nun, ich sagte ihm, dass so etwas in Hintermeerwärts niemals geschehen könnte. Da begann er zu lachen. Ich drängte ihn, mir zu sagen, was daran so witzig wäre. Schließlich erklärte er mir, dass es sehr wohl Frauen geben würde, die sich wie Männer kleideten, und Männer, die sich wie Frauen kleideten, ja, auch in Hintermeerwärts. Dass es sogar Frauen geben würde, die mit Frauen ins Bett gehen, und Männer, die mit Männern ins Bett gehen. Zuerst wollte er nicht über diese Dinge reden, aber ich blieb beharrlich, und ich kann eine sehr entschlossene Dame sein. Am Ende habe ich so viel erfahren. Tatsächlich habe ich erfahren, wie viel ich nicht gewusst habe, wie viel ich nicht verstanden habe über die Nation, in der ich lebe. Über die menschliche Existenz.
Mein vorherrschendes Gefühl ist jetzt weniger Schock und Entsetzen als eher Wut und Empörung. Empörung, weil man in mir eine vornehme Dame sieht, noch dazu eine unverheiratete, die als zu zart besaitet gilt, zu empfindsam, als dass sie der Realität ausgesetzt werden könnte. Ich bin immer noch empört, denn das ist irgendwie auch ein bisschen absurd. Frauen, die dazu bestimmt sind, Kinder zu gebären, und während der Geburt häufig leiden, werden als zu schwach erachtet, der Wirklichkeit ausgesetzt zu werden. Merkt denn nie jemand auch nur im Entferntesten, dass das lächerlich ist? Ganz zu schweigen davon, dass es verdreht ist?
Wenn Shor diese Unterhaltung hören könnte, hatte Nathan gesagt, würde er ihn wahrscheinlich auf der Stelle zu einem Duell herausfordern, weil er mich beschämt habe. Weil er gegenüber einer Frau mit Herkunft den größten Mangel an Respekt gezeigt habe.
Pah!, habe ich dazu gesagt, und das meine ich immer noch. Ich habe Nathan das Versprechen abgerungen, dass ich die Freiheit habe, ihn um eine Erklärung zu bitten, wann immer ich irgendwelche weiteren Fragen über irgendetwas habe, das ich sehe oder höre oder lese. Ich werde ihn beim Wort nehmen. Es ist natürlich nicht immer leicht für ihn, offen gegenüber einer vornehmen Dame zu sein, aber immerhin hat er den größten Teil seines Lebens auf den Ruhmesinseln gelebt, wo sich die Leute nicht so scheinheilig verhalten wie die Kellen. Zumindest dafür bin ich dankbar.
Ich habe einen weiten Weg hinter mir, und ich fange an, mich zu fragen, ob ich nicht Hosen tragen soll, wie es für reisende Frauen auf den Ruhmesinseln ganz selbstverständlich ist. Es wäre so viel vernünftiger als diese lächerlichen Kleider und Unterröcke, die so schwer zu waschen sind. Ich frage mich, was Shor dazu sagen würde.
Tatsächlich wundere ich mich in letzter Zeit über so einiges.
Auf einem Schiff hat man immer Zeit, in müßiges Nachdenken zu verfallen, und ich habe viel darüber nachgedacht, was ich mit meinem Leben anfangen
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