Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
Tenkor-Langbooten täglich einen regen Austausch an zappeligen Passagieren und einer Fülle von Gütern. Es gab Zeiten, da war es sogar noch hektischer als jetzt, aber die nächste Flutwelle war ein Kleiner Fisch, wie wir sagten: zu klein für die Langboote der Gilde. Das heutige Langboot war schon längst aufgebrochen, hatte noch vor der Morgendämmerung eine kraftvollere Delfin-Flutwelle genutzt. Ich war daher der Einzige, der jetzt zur Nabe aufbrach, um eine Reihe von Briefen zu übergeben. Denn ich trug nicht nur die Briefe meines Vaters sowie die übliche Handelspost bei mir, sondern auch ein Paket des Hohepatriarchen, das für den Wahrerherrn bestimmt war.
Ich winkte dem einzelnen Jungen zu– es war Denny–, der vor der Gildenhalle stand. Normalerweise hielten sich dort immer eine ganze Reihe junger Frauen und kleiner Jungen auf, wenn ich auf eine Welle wartete. Wie die meisten Gezeitenreiter hatte auch ich meine eigene Anhängerschaft, genau genommen sogar mehr als andere. Die Frauen waren wählerisch, sie hatten ihre Lieblingsreiter und studierten den Zeitplan, um zu sehen, wann sie arbeiteten, damit sie ihnen nachwinken oder sie begrüßen konnten. Viele signalisierten auch ihre Bereitschaft, andere Dienste anzubieten– ganz umsonst. Ihre Schmeichelei war mir ein Rätsel, aber ich war für ihren Zauber genauso empfänglich wie jeder andere junge Bursche. Es war bekannt, dass ich keine Gelegenheit verstreichen ließ, die sich mir bot, sofern ich nicht gerade eine feste Freundin hatte. Dass die kleinen Jungen da waren, verwunderte mich weniger; sie wollten einfach nur eines Tages selbst Gezeitenreiter werden und nutzten jede Gelegenheit, ihre Helden zu beobachten. Genauso hatte ich es auch gemacht.
An diesem Tag befand sich allerdings niemand bei den Kais, abgesehen von Denny. Was ihn betraf, hatte ich mich schon gefragt, ob er nach all den Geschehnissen überhaupt noch an seine Aufgabe denken würde, aber er ließ mich– oder seine Gilde– nicht im Stich. Er hatte meinen Gezeitengleiter zum Kai gebracht und mein Essen bereits in dem Hohlraum hinter dem Sitz verstaut. Meine Wasserhaut hing an ihrem Halter. » Rindfleischbrote«, erklärte er mir, als ich zu den Docks kam.
» Du weißt, was passiert ist?«, fragte ich, während ich meine Schuhe auszog und mich dann auf dem Gezeitengleiter niederließ, das Gewicht links und rechts auf den Händen, um das Gleichgewicht zu halten, während die Füße beiderseits im Wasser baumelten. Das Ganze ist eine Kunst für sich; ein Gezeitengleiter ist kein Boot oder Kanu. Man hat zwar eine Mulde, in der man sitzen kann, und es gibt auch Vertiefungen für die Füße, aber im Grunde sitzt man oben auf dem Gefährt. Wenn man einen Gleiter genauso besteigen würde wie ein normales Boot, würde man ihn glatt zum Kentern bringen.
Denny nickte. » Es heißt, dass diese nackten Leute alle mal Vögel gewesen sind. Ist das wahr?«
» Sieht so aus.« Ich drehte mich um und legte die Briefe zu meinem Essen, dann verschloss ich die Luke fest.
» War es Dunkelmagie?«
» In der Gilde glaubt man es.« Weiter erklärte ich ihm nichts; er würde all die Gerüchte, von denen es sicher jede Menge gab, noch früh genug hören.
Ich hatte damit gerechnet, dass er verschwinden würde, sobald ich mich vom Kai abstieß, aber er blieb da und sah mir zu. Bei meiner Rückkehr würde ich eine Belobigung für ihn aussprechen. Es war bestimmt nicht leicht gewesen, all das, was an diesem Tag in der Stadt passiert war, zu ignorieren und in Ruhe seine Arbeit zu verrichten.
Ich warf wieder einen Blick zur Turmuhr der Gildenhalle hinüber. Noch fünf Minuten. Ich befestigte die Riemen an meinem Knöchel und sorgte dafür, dass das andere Ende gut am Gezeitengleiter festgezurrt war; die Schlaufe des Paddels hatte ich bereits über mein Handgelenk geschoben. Jeder, der einmal in der Mitte der Nabenrinne den Kontakt mit seinem Gezeitengleiter oder dem Paddel verloren hatte– und ich hatte beides schon geschafft–, achtete fortan besonders darauf, niemals wieder von diesen Dingen getrennt zu werden. Es waren keine Erlebnisse, an die ich mich gern erinnerte.
Unruhig ließ ich den Blick vom Hafen nach Tenkorhaven schweifen, das oben auf dem Hügel thronte. Bänder aus steilen, von Häusern gesäumten Straßen verbanden die Stadt mit dem Hafenviertel, aber es waren die öffentlichen Gebäude, die Tenkorhaven zu der beeindruckenden Stadt machten, die sie war: das über allem aufragende Huldigungshaus
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