Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
endlich fertig war, war sie längst im Haus verschwunden. Wenn wir uns unterhielten, wollte sie mehr über die Feinheiten des Gezeitenreitens erfahren und hören, wie sie ihre Technik verbessern konnte. Noch nie hatte ich einen Menschen getroffen, der so ehrgeizig und zielstrebig war wie sie.
Glücklicherweise nahm sie sich auch die Zeit, mir beizubringen, wie ich meine Silbmagie wirkungsvoller einsetzen konnte. Bis dahin war meine Silbausbildung ziemlich willkürlich gewesen, sofern man überhaupt davon sprechen konnte, dass es eine gegeben hatte. Als ich ein Kleinkind gewesen war, hatte mein Vater sich gezwungen gesehen, einen Silbmagier einzustellen, der mich in die Grundlagen einführte, natürlich mit dem Ziel, mir beizubringen, wie ich meine Fähigkeit verbergen konnte. Als ich von Tenkor aufs Festland verbannt wurde, hatte ich mich mit einer Silbfamilie in der Nachbarschaft angefreundet. Die Kinder dort hatten mir geholfen, meine Macht weiterzuentwickeln, statt sie einfach nur zu kontrollieren, bis ich mich mit zwölf entschieden hatte, mein Silberbe endgültig zu leugnen und in den Haushalt meines Vaters nach Tenkor zurückzukehren. Jetzt war Jesenda nur zu glücklich darüber, meine Ausbildung in ihre Hände zu nehmen. » Es ist ein Verbrechen, wie wenig du weißt«, knurrte sie. » Dass jemand mit einer solchen Macht so unausgebildet geblieben ist…«
Ich verstand nicht, wieso sie sagte, dass ich so viel Macht hätte. Schließlich war sie diejenige, die über ungewöhnliche magische Kräfte verfügte, nicht ich. Ich bemühte mich, von ihr zu lernen, aber es widerstrebte mir, nach Tenkor zurückzukehren und nach Silbmagie zu riechen. Irgendwann würde es jemand meinem Vater erzählen. Meine zwiespältige Einstellung verärgerte sie natürlich.
» Gute Güte, Elarn«, sagte sie eines Tages voller Verzweiflung. » Du musst dich entscheiden, ob du ein Silbmagier sein willst oder nicht! Du kannst nicht ständig rumeiern wie ein steuerloses Boot.«
Wir waren gerade auf dem Rückweg zu Dasricks Bootshaus gewesen, und es hätte mich sehr viel glücklicher gemacht, wenn es darum gegangen wäre, ob wir uns nachher noch zu einer Tasse Schokolade zusammensetzen oder etwas ähnlich Verlockendes und weniger Beunruhigendes tun wollten. Stattdessen sprachen wir über meinen unentschlossenen Charakter. Dabei hatte sie natürlich recht. Ich musste zu einer Entscheidung gelangen. Wenn ich bei ihr war, zweifelte ich nicht an meinem Wunsch, ein Silbmagier sein zu wollen; kaum war ich wieder in Tenkor, waren die Dinge allerdings weniger klar.
Eines aber wusste ich ganz genau: Zum ersten Mal in meinem Leben war ich hoffnungslos verliebt. Jetzt, viele Jahrzehnte später, kann ich sagen, dass es zwar auch Liebe gewesen sein mag, ich aber genauso von Begierde verzehrt wurde, die umso verlockender war, da ihr Objekt unerreichbar schien.
Ich war eben noch sehr jung.
Die Ergebnisse der Abschlussprüfungen hingen am Schwarzen Brett der Gildenhalle aus. Ich hatte alle bestanden, zugegebenermaßen nicht mit Auszeichnung, aber doch mit genügend Punkten, dass ich zum Syr-Gezeitenreiter aufstieg und vollwertiges Gildenmitglied wurde. Ich erinnere mich nicht mehr sehr gut an diese Nacht. Meine Freunde schleiften mich durch die Kneipen von Tenkorhaven, und von dort ging es in irgendwelche von den weniger gesunden Bars unten am Hafen, wo wir, wie ich glaube, am Morgen in irgendeinem Bordell landeten. Ich erinnere mich wirklich nicht mehr gut an das, was nach der ersten Stunde dieses Abends geschah, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass was immer auch in dem Bordell passiert ist, nichts mit irgendwelchen Aktivitäten meinerseits zu tun hatte, da ich zu diesem Zeitpunkt absolut nicht mehr in der Lage war, überhaupt noch irgendetwas zu tun.
Als ich am nächsten Tag in meinem Bett in der Gildenhalle aufwachte, hatte ich keine rechte Vorstellung mehr davon, wie ich dorthin gekommen war, aber die schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens. Abgesehen von dieser Unbesonnenheit verlief mein Leben in gewohnten Bahnen. Ich ging meinem Vater aus dem Weg, so gut es möglich war, und meldete mich freiwillig zu so vielen zusätzlichen Touren, wie mir erlaubt war. Ein paar sehr schöne Wochen vergingen– und dann tauchte der Schoner auf. Er fuhr unter der Flagge von Mekaté und hatte farbenfroh gewebte Segel, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich stand zufällig im Hafen, und da ich gerade keinen Dienst hatte, beschloss ich, ihn mir genauer
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