Die Inseln des Ruhms 3 - Die Magierin
gehört und erst recht getan habe.« Er griff in die Luke hinter sich und holte zwei Gegenstände heraus. » Deine Wasserhaut und deine Ausrüstung.«
Während ich meine nassen Sachen auszog und das geölte Oberteil und die Hose anzog, die man als Gezeitenreiter trug, tadelte er mich munter weiter. » Du bist dir aber im Klaren darüber, du bekloppter Narr, dass niemand– absolut niemand– jemals mit einem Wellengleiter die ganze Strecke bis zur Nabe geritten ist, ja? Dass der Rekord für einen Ritt bei erbärmlichen fünf Meilen liegt? Dass noch nie jemand diese Strecke nachts mit einem Gezeitengleiter gefahren ist, ganz zu schweigen davon, dass er es mit einem Wellengleiter getan hätte? Dass…«
» Doch, das hat jemand«, unterbrach ich ihn, nahm ihm die Wasserhaut ab und streckte den Arm durch den Tragegurt. » Ich selbst habe es erst vor ein paar Wochen getan. Mit einem Silblicht, genauso, wie ich es auch heute Nacht tun werde. Marten, hör auf, dir Sorgen zu machen. Wenn ich die Welle verliere, werde ich eben bis morgen warten müssen, bis die nächste kommt. Und wenn es wirklich Tage dauern sollte, bis ich die Nabe erreiche, dann ist das eben so.«
» Und was ist, wenn du gegen einen Baumstamm prallst?«, fragte er düster. » So was wäre schon tagsüber übel. Nachts ist es Selbstmord.«
» Hör auf, dir Sorgen zu machen.« Ich reichte ihm meine nassen Sachen und kniete mich auf den Wellengleiter. » Du machst jetzt besser, dass du zurückkommst, sonst musst du noch gegen die Welle anpaddeln. Ab, Marsch.«
Er zögerte noch einen Moment. » Ich werde dich besuchen, wenn ich in der Nabe bin.«
Ich lächelte ihn an, obwohl ich bezweifelte, dass er das sehen konnte. » Natürlich wirst du das! Und danke, Marten. Für alles.«
» Möge die Welle mit dir sein, du verdammter Silbkopf!«
Ich sah ihm noch einen Moment hinterher, wie er auf die Lichter am Kai zupaddelte. Denny würde dort sein und ihn aus dem Wasser ziehen und seinen Gezeitengleiter wieder verstauen, ohne dass jemand es bemerkte. Zumindest hoffte ich das. Ich selbst paddelte an eine Stelle, an der meine Chance größer war, die Flutwelle zu erwischen. Lange musste ich nicht warten, denn sie kam in dieser Nacht ein paar Minuten zu früh. Und obwohl sie hier draußen nicht ganz so wild war wie nachher, an der Stelle, wo der Kanal weiter landeinwärts schmaler wurde, klang sie bereits wie ein zorniger Seedrache.
Und dann, als sie sich aus der Dunkelheit schälte und auf mich zuwogte, erinnerte mich die Art und Weise, wie sie die Untiefen des Ebbwassers verschlang, ganz an das Monster, dem sie ihren Namen verdankte: die Muräne. Ich kniete mich auf meinen Gleiter und tauchte die Hände ins Wasser, um mich nach vorn zu befördern, so, als wollte ich vor der Gefahr fliehen und Tempo gewinnen, um es mit dem Ungeheuer aufzunehmen. Und dann war sie da, zwang sich unter mein schaukelndes Brett. Sie war stark genug, um mich nach oben und vorn zu befördern, während ich in der Hocke wartete, bereit, über die Untiefen zu fliegen: eine Turmschwalbe im Dunkelwind, ein Gezeitenreiter auf seinem Wellengleiter. Sich die Kraft einer Welle nutzbar zu machen: nichts auf der ganzen Welt fühlt sich besser an.
Eine ganze Weile genoss ich die Einsamkeit meines Ritts. Ich blieb im westlichen Kanal, wo die Welle für den Wellenreiter gewöhnlich besser war. Von hier aus konnte ich das Licht des Langboots sehen, das etwa eine Meile östlich von mir in einem der mittleren Kanäle dahinglitt, der ihm mehr Wasser unter dem Kiel bot. In den nächsten zwei Stunden würden sich unsere Pfade nicht kreuzen. Einstweilen ritt ich allein auf der Welle, und es fühlte sich gut an– als hätte ich nicht nur Tenkor hinter mir gelassen, sondern auch den Ärger mit meinem Vater. Und als wartete Hoffnung am Ziel meiner Reise statt einer unsicheren und unklaren Zukunft.
Als ich es wagte, einen Blick zurückzuwerfen, sah ich eine Reihe anderer rauer Wellen derjenigen folgen, auf der ich gerade ritt, wie ein Schwarm Killerwale, die hinter einem Opfer her waren: ein unbeherrschbarer Haufen, eine grobkantige und knotige Gischt. Es war angenehmer, nach vorn statt nach hinten zu schauen, und weit schöner, ein Stück voraus den Pfad von silbernem Licht beleuchtet zu sehen.
Die erste Stunde genoss ich. Es war der längste Wellenritt, den ich jemals auf einem Wellengleiter unternommen hatte. Normalerweise endete ein erfolgreicher Ritt von einer Stunde damit, dass man lange und mühsam
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