Die Inselvogtin
wollen, sondern Weberin … oder Hebamme … «
Er grinste sie an, und sie boxte ihm in die Seite, sodass er vor ihr flüchten musste. Beide rannten den Weg entlang und lachten, und zwischendurch trafen sie sich immer wieder zu einem Kuss. Das war es also, dachte Maikea, wonach ich mich all die Jahre gesehnt habe, wenn ich an diesen Mann dachte.
Schließlich kamen sie in die Nähe des Dorfes und mussten sich zusammennehmen, denn jederzeit könnte ihnen einer der Männer entgegenkommen.
»Damals, in der Nacht, als du geboren wurdest, weißt du, ich habe einfach keinen Grund mehr gesehen, auf der Insel zu bleiben. Ich galt dort schon immer als Sonderling, als der Sohn einer Hexe und eines Pfaffen mit hellseherischen Fähigkeiten. Lange hab ich versucht, dazuzugehören. Aber in jener Nacht begriff ich dann, dass ich es eigentlich gar nicht wollte. Dass ich wirklich anders war als sie und meinen eigenen Weg einschlagen musste.«
»Und wie hast du dich retten können?«
»Das war ein Wunder, das glaube ich heute noch. Ich bin in die Nähe eines alten Kapitänsstands gespült worden, er stammte von einem Schiff, das kurz zuvor gesunken war. Darin schwamm ich wie in einer Nussschale und fand mich am nächsten Tag zwischen Dutzenden Leichen irgendwo am völlig zerschundenen Festlandsdeich wieder. Niemand wusste, wer ich war. Die Sturmflut hatte das ganze Land durcheinandergewirbelt, und jede helfende Hand wurde gebraucht, um den Schaden zu beheben. Eine Gruppe Deichbauer hat mich bei sich aufgenommen. Sie lobten meinen Fleiß und mein Köpfchen. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich habe meine Heimat nicht vermisst und sehr schnell vergessen.«
»Und die Deichbauer haben dich dann zu dem Rebellen gemacht, der du heute bist?«
»Vielleicht bin ich schon immer ein Rebell gewesen, ein Erbe meiner Eltern, wer weiß? Wenn die Gerüchte über meinen Vater stimmen, so war er ein unbequemer Mensch, der den Juistern ihr gottloses Verhalten vorgeworfen und ihnen sogar das Abendmahl verweigert hat, bis sie ihn von der Insel jagten. Und wie meine Mutter war, brauche ich dir ja nicht zu erzählen.«
»Sie war das Beste, was mir passieren konnte. Meine Mutter ist nach meiner Geburt nie wieder auf die Beine gekommen. Das meiste, was ich kann, habe ich bei Geeschemöh gelernt … «
»Damals bei den Deichbauern habe ich das erste Mal die Zusammenhänge verstanden. Nach dem Sturm hat das Fürstenhaus sich hoch verschulden müssen, man hat bei den Holländern Geld geliehen, und weil man nicht bei sich selbst sparen wollte, wurden die Einnahmen der Untertanen verpfändet. Die Menschen, die ich kennenlernte, waren alle fleißig und ehrlich, aber bettelarm. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich dagegen kämpfen musste und dass dies meine Aufgabe im Leben ist.«
»Und so wurde dann aus Tasso Nadeaus der Weiße Knecht … «
»Ja, wenn man es zusammenfasst.«
Sie liefen um eine kleine Böschung und erblickten nur wenige Schritte voraus Eyke und seine Begleiter. Maikea war enttäuscht. Sofort ließ Tasso ihre Hand los, schenkte ihr noch einen kurzen Blick, dann rief er:»Kommt heim, Männer. Wir haben etwas zu feiern. In unseren heiligen Hallen ist ein strammer Junge geboren worden. Ich habe soeben beschlossen, unsere letzten Biervorräte für diesen Anlass zu opfern.«
Fröhlicher Jubel war die Antwort. Gemeinsam machten sie kehrt und eilten gut gelaunt und voller Vorfreude auf das kleine Fest zur Mühle zurück. Manche der Männer taten so, als hätten sie selbst etwas mit der Geburt zu tun, sie prahlten und lachten und trieben ihre Scherze. Und wenn es nach Maikea gegangen wäre, hätte dieser Marsch noch eine Ewigkeit dauern können. Denn obwohl sie in der letzten Nacht kein bisschen geschlafen hatte, fühlte sie sich lebendig wie noch nie. Außerdem hätte sie ihren Abschied gerne noch etwas hinauszögern wollen. Aber sie wusste, später würde sie sich wieder auf den Heimweg machen müssen, denn sie hatte Carl Edzard versprochen, ihn umgehend zu benachrichtigen, wenn es etwas Neues von Jantje gab. Und das war schließlich der Fall. Jantje ging es gut, und ihr Sohn war geboren, der legitime Thronfolger dieses Landes …
Doch plötzlich erstarb das Gelächter der Männer. Die braune Stute, auf der Maikea hierhergeritten war, kam ihnen entgegengerannt, mit wildem Blick und schwitzendem Fell. Maikea wurde unruhig. Nur wenige Augenblicke später sah sie Rauchschwaden aus der Mühle emporsteigen.
»Nein!«, schrie Tasso
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