Die Inselvogtin
in seiner Hand schnitt in Rudgers Oberschenkel, der Getroffene jaulte auf. Maikea rappelte sich auf, wankte auf die brennende Mühle zu und schlug einem angreifenden Soldaten den zweiten Eimer ins Gesicht. Sie ließ sich nicht aufhalten.
Die Tür zur Mühle stand offen, dahinter loderte das Feuer glutorange. Es war unerträglich heiß. Maikea stolperte trotz der Hitze hinein. Hier unten konnte kein Mensch überlebt haben, der Boden war bedeckt von Trümmern.
»Maikea!«, hörte sie es plötzlich von oben aus zwei Kehlen. Sie blickte hinauf. Das zweite Stockwerk war noch nicht zerstört, Gott sei Dank. An der Balustrade erkannte sie Tasso, er stützte Jantje, die das schreiende Kind im Arm hielt. Sie schienen so unendlich weit weg zu sein. Der Weg nach unten war ein Opfer der Flammen geworden, sie hatten keine Chance.
»Maikea, du musst meinen Sohn nehmen!«, rief Jantje. »Bitte! Auch wenn ich sterben muss, er soll leben.«
Maikea sah sich um. Sie kletterte auf den Mühlstein und von dort auf einen Haufen verkohlter Balken, das brachte sie etwas näher, doch noch immer war der Abstand zwischen ihr und dem Kind zu groß.
»Ich werde ihn dir in die Arme werfen!«
»Nein! Bist du verrückt, Jantje, wenn ich ihn nicht auffange, stirbt er!«
»Wenn ich ihn bei mir behalte, wird es nicht anders sein. Wir haben keine andere Möglichkeit. Du musst ihn fangen und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden, hörst du? Bringe ihn in Sicherheit! Bloß nicht nach Aurich! Niemand darf erfahren, dass er überlebt hat, noch nicht einmal Carl Edzard!«
»Aber er ist der Vater!«
»Mir ist das Leben meines Kindes wichtiger, hörst du? Wenn er alt genug ist und im Land Frieden herrscht, dann … « Ihr Schrei unterbrach den Satz. Von oben hatte sich durch die Hitze ein Balken gelöst. Er sauste knapp an Jantjes Kopf vorbei und zerbarst direkt vor Maikeas Füßen in tausend Splitter.
»Wir müssen hier weg, Jantje!«, rief Tasso. Er hatte sich das Seil der Leiter um die Hüfte gebunden und machte das andere Ende am Fensterrahmen fest.
»Da draußen warten die Soldaten auf euch!«, warnte Maikea.
Jantje stand wie versteinert da, hinter ihr leckten die Flammen nach ihrem Haar.
»Bitte! Maikea! Du bist mir die liebste Freundin, die ich je hatte. Nimm mein Kind! Sei ihm eine gute Mutter!«
»Hör auf damit! Du wirst das hier überleben, ganz bestimmt!«
Doch Jantjes Hemd hatte bereits Feuer gefangen. Sie blickte an sich hinunter, sah ihren Sohn an, küsste ihn und hielt ihn über die Balustrade:»Leb wohl!«
Maikea sah das kleine Bündel auf sich zukommen. Sie breitete die Arme aus, tat einen vorsichtigen Schritt nach vorn, und wäre beinahe gefallen, doch dann landete das Kind sicher in ihren Armen.
Als sie wieder hinaufschaute, waren Jantje und Tasso nicht mehr zu erkennen. Der Rauch schob sich wie eine Mauer zwischen sie.
Maikea sprang vom Mühlstein und suchte hastig nach einem Fluchtweg aus den Flammen. Sie entschied sich für ein kleines Fenster an der Rückseite der Mühle, stieg hindurch und rannte los.
Nur einen Steinwurf entfernt lieferten sich die Soldaten und die Rebellen einen erbitterten Kampf, niemand durfte mitbekommen, dass sie entkommen war. Mit dem schreienden Kind im Arm.
Niemals in ihrem Leben war sie so schnell gerannt.
TEIL 4
Februar 1744
1
An diesem späten Abend Ende Februar war es nicht mehr winterlich kalt in den Straßen der Stadt, dafür nass und dunkel. Aber Rudger hätte den Weg mit verbundenen Augen gefunden, so oft war er in seinem Leben schon vom Schloss zum Stadtrand gegangen, um das kleine, etwas gedrungen wirkende Haus aufzusuchen. Früher waren es leichte Schritte gewesen, erwartungsfroh, beinahe ungeduldig. Doch seit fast zehn Jahren schlich er sich mit immer größerem Unmut dorthin. Er sah es als Pflichtübung an, machte es nur, weil sein Eheweib ihn zu oft des Bettes verwies, wenn er betrunken nach Hause kam – was fast jeden Tag der Fall war. Seine Christiane konnte dann rabiat werden, und er musste auf der Küchenbank schlafen. Dennoch war Rudger vor drei Wochen bereits zum vierten Mal Vater geworden. Kein Grund zur Freude, eigentlich reichte sein Verdienst beim Geheimrat kaum für die Familie. Auch den Besuch im Freudenhaus musste er sich mit kleinen, gemeinen Gefälligkeiten bei Weert Switterts verdienen.
Er hatte zwei Mädchen, mit denen er gern schlief. Selma und Grete. Beide waren freundlich, lieb und ließen sich küssen. Aber keine war wie Trientje. Er
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