Die Inselvogtin
Schulter. »Wer wird denn so pessimistisch sein?«
Sanft schob sie seinen Arm zur Seite. »Noch ist der Kampf nicht gewonnen, Geert. Das spüre ich genau.«
»Von welchem Kampf sprichst du denn?«
»Von seinem.« Maikea dachte kurz nach, nein, dies war noch nicht die ganze Antwort. »Und von meinem «, ergänzte sie.
4
S witterts! Wir haben schon von Eurem plötzlichen Absturz gehört. Kommt doch herein!«
Ein Bediensteter hielt Weert die Tür auf und gewährte ihm Eintritt in die Schreibstube des berüchtigten Syndikus Sebastian Homfeld. Der Politiker erhob sich von seinem Arbeitstisch. Er war in allerbestes Tuch gekleidet, ordentlich frisiert und machte einen ausgeschlafenen Eindruck. Weert dagegen fühlte sich schäbig, klein und unbedeutend.
Noch immer trug er die Kleider am Leib, die er am ersten Abend seiner Flucht einem alten Mann am Straßenrand gestohlen hatte. Ohne Perücke, Stiefel und Stock sah er wie ein Bettler aus, aber immerhin war er in diesem Aufzug unbehelligt bis nach Emden gekommen.
Homfeld beugte sich über seinen Schreibtisch und reichte Weert die Hand. »Ehrlich gesagt hatte ich schon gehofft, dass Ihr uns aufsuchen würdet. Wir brauchen einen Mann wie Euch. Der Zeitpunkt ist genau richtig. Ein Glas Wein?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, schenkte Homfeld ihm ein.
Weert griff hastig nach dem Getränk. Er war durstig und trank den vollen Becher in einem Zug aus, obwohl es sich um einen furchtbar sauren Tropfen handelte. Auch das hellbraune Brot, das auf einem Teller vor ihm lag, schien trocken zu sein, doch er starrte es so gierig an, dass Homfeld ihm einladend zunickte. »Nehmt doch Platz und bedient Euch.«
Der Stuhl, auf den Weert sich setzte, knarzte laut. Es war nicht zu übersehen, dass in diesem Haus nicht annähernd der üppige Prunk herrschte wie in seinem Domizil in Aurich. Die Wände waren karg, das Mobiliar schlicht, die Gardinen am Fenster fadenscheinig. Emden hatte seine besten Zeiten offensichtlich hinter sich. Die einst wohlhabende Hafenstadt wirkte heruntergekommen, und ihre Einwohner trugen selbst Schuld daran. Als Strafe für ihre Aufmüpfigkeit waren sie seit Jahrzehnten vom Rest des Landes politisch und wirtschaftlich isoliert worden, viel Reichtum konnte er hier also nicht erwarten.
Weert befand sich im Ständehaus, von wo aus die Renitenten den gezielten Angriff auf das Fürstenhaus planten.
Dieser Kampf hatte mit dem Krieg des Weißen Knechts und seinen Leuten nichts mehr zu tun. Durch den Tod des Anführers spielten die Aufständischen im Landesinneren ohnehin keine Rolle mehr. Dafür war die Rebellion auf diplomatischer Ebene in den letzten Jahren immer weiter entflammt. Dass in Emden einige kluge Männer saßen und mal mit den Niederlanden, mal mit Preußen kollaborierten, war kein Geheimnis. Und nun saß er, Weert Switterts, der in Ungnade gefallene fürstliche Geheimrat, dem Mann gegenüber, der bei einer Machtübernahme der Preußen aller Wahrscheinlichkeit nach der oberste Minister werden würde.
Syndikus Homfeld strahlte eine beeindruckende Mischung aus Arroganz und Klugheit aus. Es hieß, er wäre derart fixiert auf seine politischen Ziele, dass nichts Menschliches mehr an ihm zu finden war. Weert glaubte dieser Beschreibung aufs Wort, passte sie doch zu dem blutleeren, fast asketischen Äußeren seines Gastgebers. Er war fasziniert von diesem Mann.
»Da Ihr zu mir gekommen seid, gehe ich davon aus, dass Ihr bei uns mitmachen wollt?«
Weert nickte. Er war einfach zu müde für jedes weitere Wort.
»Dann kann ich Euch sagen, dass wir einen Vertrag ausgearbeitet haben, der in die Geschichte eingehen wird. Die Stadt Emden hat sich, wie Ihr sicher wisst, immer geweigert, dem derzeitigen Fürsten zu huldigen. Aus gutem Grund: Wir wollen die Herrschaft der Cirksena abschaffen. Sie entspricht einfach nicht mehr dem modernen Weltbild. Und wie ich hörte, seid Ihr oberster Ratsherr gewesen und neuen Ideen gegenüber stets aufgeschlossen. Stimmt das?«
»Durchaus «, antwortete Weert schlapp. Er hatte keine Ahnung, wie Homfeld auf eine derartige Annahme kam.
»So habt Ihr beispielsweise eine junge Frau bei ihrer Arbeit für die Sturmflutsicherung protegiert. Die Erfolge, die diese Maikea Boyunga bei ihrer Arbeit auf Juist erzielt, sind beachtlich. Das ist auch zum Teil Euer Verdienst, Switterts, deswegen habe ich mich entschieden, Euch zu trauen.«
Das war grotesk. Immerhin hatte Weert in den letzten Jahren alles darangesetzt, Maikeas Wirken zu
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