Die Inselvogtin
eingesetzt? Und nun wollte niemand mehr etwas von ihm wissen?
»Hör mal zu, Habbo. Du hast sicher keine Ahnung von Politik, aber ich will dir mal etwas verraten: Die Preußen stehen vor den Grenzen.« Weert machte ein dramatisches Gesicht, und tatsächlich schien der Wächter aufgeschreckt zu sein. »In Emden brodelt es, weil die Aufständischen die Machtübernahme in Ostfriesland planen. Es ist nur noch eine Frage von Tagen oder Wochen, und es wird einen gefährlichen Machtwechsel geben. Deswegen haben sie mich auch in den Kerker gesperrt, weil ich dem Volk die Wahrheit erzählen wollte. Aber das passt der Familie Cirksena natürlich nicht. Doch wenn Friedrich II. hier das Ruder in die Hand nimmt, werde ich wieder ganz oben dabei sein, das kann ich dir versprechen.«
»Ja, und?«
»Du solltest dir gut überlegen, ob du dich weiterhin so ungehorsam benehmen willst. Denn wenn mein Einfluss wieder gewachsen ist, kann ich entscheiden, wer in einem solch muffigen Loch wie hier arbeiten muss und wer Mundschenk oder Stallmeister wird.«
»Und wenn es nicht stimmt? Wenn du mich einfach nur zum Narren hältst?«
Weert dachte kurz nach, er durfte nun keinen Fehler machen. Mit jeder Minute, die er länger hier festsaß, schwanden seine Chancen, die Situation wieder zu seinen Gunsten zu lenken.
»Pass auf, du gibst mir ein Stück Papier und eine Feder zum Schreiben. Dann sorgst du dafür, dass die Fürstin meinen Brief erhält. Und ich wette mit dir, sie wird noch vor Sonnenuntergang hier auftauchen, um für meine Freilassung zu sorgen.«
»So ein Unsinn! Die Herrin ist hochschwanger und muss sich schonen. Sie wird wohl kaum im Kerker vorbeikommen.«
»Und wenn es sich doch so verhält, wie ich es sage, dann werde ich dich mitnehmen zu den Preußen, und wir werden gemeinsame Sache machen. Ich kann einen Kerl wie dich gebrauchen, einen Mann, der stark ist, klug und sich nicht von jedem Schwätzer gleich beeindrucken lässt.«
Der Kerl dachte einen Moment nach. Dann erhob er sich, verließ den Raum und kam bald darauf wieder. »Dann möchte ich aber ein eigenes Pferd «, raunte er durch die Gitterstäbe, als er Weert die gewünschten Schreibutensilien reichte.
»Du kannst dir einen prächtigen Hengst aussuchen, das verspreche ich dir. Und du weißt, ein Ehrenmann hält seine Versprechen!«
Weert konnte ein hoffnungsvolles Schimmern in den Augen des Wachmannes ausmachen. Dann wandte er sich ab, um in Ruhe sein Schreiben aufzusetzen.
Liebste Fürstin Wilhelmine Sophie!
Wahrscheinlich habt Ihr schon von meinem Schicksal erfahren. Ich könnte es Euch nicht verübeln, wenn Ihr mit einem solchen Schurken wie mir nichts mehr zu tun haben wollt. Doch bedenkt: Wenn Ihr mich hier in meinem Gefängnis sitzen lasst, dann werde ich bei meiner Hinrichtung – die sicher gut besucht sein wird – die Gelegenheit nutzen und meine letzten Worte laut und deutlich an alle Anwesenden richten, damit sie erfahren,
wessen Kind Ihr unter dem Herzen tragt. Über Euren Besuch freue ich mich wie immer.
Untertänigst, Euer Geheimrat Weert Switterts
3
M utter! Ich habe Granat gefangen, einen ganzen Eimer voll!« Jan zeigte stolz seine Beute.
Nach der Schulstunde war er den ganzen Nachmittag mit seinen Freunden am Strand unterwegs gewesen. Sein dunkelblondes Haar war nun zerzaust und die Wangen gerötet, doch sein Blick leuchtete vor Begeisterung. In diesem Moment erinnerte der Junge Maikea so sehr an Jantje, dass es ihr wehtat.
»Sie sind noch zu klein, Jan, wirf sie wieder ins Meer zurück.«
»Aber ich habe solch einen Appetit!«
»Wenn du diese Winzlinge pulen willst, sitzt du bis morgen früh daran und wirst nur noch hungriger davon. Warte noch, bis die Monate ohne ›r‹ kommen, dann sind die Krabben dicker und fleischiger.«
Jan blickte sie mit seinen unwiderstehlichen Augen an, doch Maikea schüttelte unerbittlich den Kopf. »Heute gibt es Grütze, davon hat dein Magen mehr. Geh ins Haus und zieh dir ein trockenes Hemd an. Sobald ich hier fertig bin, können wir essen.«
Maikea war seit Ende Februar damit beschäftigt, das gelieferte Holz zu sortieren. Für den Wall brauchte sie Pflöcke von mindestens vier Ellen Länge, geradem Wuchs und ausreichender Dicke. Der Fürstenhof hatte jedoch nahezu unbrauchbares Material geliefert. Wahrscheinlich steckte wieder der Geiz dahinter, für den Weert Switterts bekannt war, wenn es um den Inselschutz ging. Immer noch rächte er sich auf diese Weise an ihr, nach all den Jahren. Und
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