Die Inselvogtin
das, obwohl Maikeas langfristig angelegte Schutzmaßnahmen bereits Erfolge zeigten.
Durch die Strandhaferpflanzung im Südwesten hatte Juist an Breite gewonnen, denn die Strömung im Seegatt trug nun tatsächlich weniger Sand ab. Im letzten Sommer hatte Maikea dann damit begonnen, die Wellenbrecher anzulegen, genau an der Stelle, wo das Meer besonders hart auf die Insel schlug. Es waren nur kurze Reihen, vier nebeneinander, etwas westlich des Hammrichs gelegen. Die meisten davon hatten den Winter überstanden, aber das Klima war auch ausgesprochen mild und ruhig gewesen. Eine wirkliche Härteprobe hatten ihre Konstruktionen also noch nicht bestanden. Zwar waren die skeptischen Stimmen der Inselbevölkerung leiser geworden, aber noch nicht verstummt. Nur der Fürstenhof zeigte sich weiterhin unbelehrbar. Doch Maikea dachte nicht daran, sich dort zu beschweren, lieber verbrachte sie Wochen damit, die krummen Stämme gerade zu biegen.
»Lass dir helfen, Maikea «, bot nun Geert Rulffes an und griff beherzt in den Holzhaufen. Er war Maikeas Nachbar und ein paar Jahre älter als sie. Ein Witwer aus Hage, der vor einigen Jahren eine Juisterin geheiratet hatte, die kurz darauf bei einer Fehlgeburt gestorben war. Er lebte seitdem allein und half gerne aus. Seine Kate stand nur einen Steinwurf entfernt. Maikea war nach ihrer Rückkehr in das Haus ihrer Eltern eingezogen, obgleich es in einem schlimmen Zustand gewesen war, denn seitdem sie nach Esens gebracht worden war, hatte es leer gestanden.
Wehmütig erinnerte sich Maikea an den Tag, an dem sie mit nichts als einem kleinen Säugling im Arm auf ihre Heimatinsel zurückgekehrt war. Einerseits hatte sie sich gefühlt, als kehre sie in den Schoß der Mutter zurück – die Dünen und Sandbänke, die kleinen Häuser und die altbekannten Gesichter. Der Milchkrug neben dem Kamin und Geeschemöhs Kräuter an der Decke hatten ihr gleich so etwas wie Geborgenheit geschenkt.
Doch durch die zerborstenen Fensterscheiben war Sand in das Innere der Stube geweht, hatte sich auf die Tische und Bänke und in das Bett der Mutter gelegt, als wäre er nun hier zu Hause.
Es hatte Maikea viel Kraft und Tränen gekostet, sich die Insel zurückzuerobern, den neugierigen Fragen auszuweichen und hier wieder heimisch zu werden.
Nur Geert hatte mit angefasst und ihr geholfen, das Dach zu flicken und die Fenster auszuwechseln. Er hatte sie auch stets in ihrer Funktion als Stellvertreterin des Inselvogtes gelobt und ermuntert, auch wenn die anderen Insulaner lieber spotteten. Er war ein herzensguter Mensch, Maikea mochte ihn. Und ganz Juist wartete nur darauf, dass sie seinem Werben endlich nachgeben und seine Frau werden würde. Sie dachten wohl, als Weib mit vaterlosem Kind müsse sie einen so ehrbaren Witwer zu schätzen wissen. Tatsächlich hatte Maikea den Gedanken in Erwägung gezogen. Denn ihre große Liebe war tot.
Die Erinnerungen waren schmerzhaft: Nur wenige Augenblicke nachdem sie mit dem Kind im Arm aus der Mühle hatte flüchten können, war das Gebäude in sich zusammengefallen. Maikea hatte das Reetdach einbrechen sehen, hatte die Hitze des auflodernden Feuers gespürt und gewusst, dass niemand darin überlebt haben konnte.
Doch obwohl dieser Tag nun schon neun Jahre zurücklag, konnte Maikea das Geschehene nicht vergessen. Es gab keinen Tag, an dem sie nicht an den Weißen Knecht, an Tasso Nadeaus dachte, sich nicht nach ihm sehnte und die Trauer weniger schmerzvoll an ihr nagte. Gefühle kannten keine Zeit, ahnte Maikea, sie würden ewig bleiben.
»Die Insulaner murren ganz schön, weil du sie morgen zur Arbeit antanzen lassen willst.« Geert war weitaus geselliger als Maikea.
Er traf sich oft mit den anderen Inselbewohnern in der Schänke oder hielt nach der Kirche ein Schwätzchen. Deswegen wusste er, was die Juister davon hielten, dass sie mit Eyke zwar einen angesehenen Inselvogt hatten, die tatsächliche Arbeit aber von einer Frau verrichtet wurde. Denn während Eyke gern von der Schankerlaubnis Gebrauch machte und zudem die Aufteilung der Strandungen regelte, ansonsten aber seine Schaluppe weiter zwischen Norden und Juist kreuzen ließ, war Maikea berüchtigt für ihre Unnachgiebigkeit, wenn es um die Strand- und Dünenpflege ging.
»Kannst du nicht warten, bis das Wetter ein bisschen freundlicher ist?«, bohrte Geert weiter nach.
Maikea schaute sich um, sah die tief hängenden Regenwolken über dem Meer und bemerkte, wie der Nordwind den Sand in scharfen Schleiern
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