Die Inselvogtin
über den Strand fegte.
»Anfang März kann man keinen Sonnenschein erwarten. Und wenn wir jetzt nicht damit anfangen, werden wir die Wälle bis zum Herbst kaum angelegt haben.« Maikea wusste genau, was sie wollte.
Sie hatte geplant, bis September mindestens zwanzig Wellenbrecher am Hammrich zu installieren. Es musste tief gegraben werden. Und sobald das Grundwasser die Wände des sandigen Lochs einstürzen ließ, kam man nur noch mit einer Einspülung weiter. Dann mussten zwei Leute die Holzstämme in den Boden rammen, während zwei weitere stetig Wasser hineinkippten. Vier Arbeitskräfte brauchten eine Stunde für einen Pfeiler, und pro Wellenbrecher, so rechnete Maikea, benötigten sie achtzig bis hundert dieser Pflöcke. Ein enormer Aufwand, und natürlich war niemand erpicht darauf, so viel Kraft und Zeit zu opfern, wenn dann letzten Endes alles bei der nächsten Flut davongerissen wurde. Doch sollte alles so laufen, wie Maikea geplant hatte, dann könnte es auf diese Weise vielleicht sogar möglich sein, eines Tages den Riss in der Insel zu flicken. Natürlich geschah so etwas nicht innerhalb eines Jahres, man musste viel Geduld mitbringen, wenn man die See überlisten wollte. Aber Maikea hatte diese Vision: Sie wollte erleben, dass sich die ersten Grashalme an der Stelle zeigten, wo ihr Vater sein Leben lassen musste. Und wenn sie es nicht mehr mit eigenen Augen zu sehen bekäme, so sollte zumindest Jan, den sie liebte wie ihren eigenen Sohn, es erleben. Mehr wollte sie gar nicht. Nur ein paar Halme.
Maikea sah sich um. Geert hatte bereits einen beachtlichen Stapel aufgehäuft, er besaß ein gutes Auge für die Tauglichkeit der Stämme. Manchmal spürte sie, wie er ihr einen heimlichen Blick zuwarf, doch stets blieb die Geste unerwidert. Es war schön, Seite an Seite mit ihm zu arbeiten. Er verstand, worauf es ankam, und hielt sie weder für eine Spinnerin noch für ein Mannweib. Zudem war er Jan ein väterlicher Freund und verbrachte viel Zeit mit dem Jungen, den er – wie alle anderen auf der Insel auch – für Maikeas Sohn hielt. Das rechnete Maikea ihm hoch an. Vielleicht sollte sie ihm auch endlich sagen, wie sehr sie ihn mochte und dass sie bereit wäre, ihn zu heiraten, obgleich sie ihn niemals würde lieben können.
»Geert, hör mal … «, begann Maikea zögerlich.
Er richtete sich auf, strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und lächelte sie an. »Was ist?«
In diesem Augenblick kam Eyke aufgeregt angelaufen. Er musste gerade erst mit seinem Schiff angelandet sein.
»Maikea, es gibt Neuigkeiten!«, rief er schon aus weiter Entfernung. Sein Gesicht war nass vom Regen, doch er strahlte mehr als die Sonne im August. »Sie haben Weert Switterts zum Teufel gejagt!«
Maikea ließ den Stamm, den sie gerade bearbeiten wollte, fallen, als wäre er mit einem Mal zu schwer geworden.
Atemlos blieb Eyke vor ihr stehen. »Stell dir vor, er soll seinen Vorgänger eigenhändig mit Arsen vergiftet haben. Und er soll für einige Mordanschläge verantwortlich sein. Damals, der Kartenmaler … «
Maikea nickte. »Ich habe immer geahnt, dass nicht Brenneysen dahintersteckte. Diese Brutalität trug eindeutig Weerts Handschrift.«
»Und auch der Brand in der Mühle geschah auf seinen Befehl. Rudger, sein ewiger Schatten, hat die ganze Geschichte nun ausgeplaudert. Woraufhin Weert ins Gefängnis gewandert ist.«
Bei Maikea stellte sich jedoch keine Erleichterung ein, kein Gefühl der Genugtuung, nichts dergleichen. Selbst wenn man Weert hängen würde, machte das weder Jantje noch Tasso wieder lebendig.
»Aber … « Eyke sah sie mit großen Augen an. »Leider ist ihm schon am nächsten Morgen der Ausbruch geglückt. Man fand seine Zellentür wie von Geisterhand geöffnet, und er selbst hatte sich scheinbar in Luft aufgelöst.« Nun musste der Schiffer wieder grinsen. »Fast wie damals bei uns … «
»Und was geschieht nun?«, fragte Geert.
Eyke ließ sich auf dem Holzstapel nieder. »Switterts wird wohl kaum je wieder auf seinen Platz in der Kanzlei zurückkehren können. Seine einzige Chance ist die Flucht. Aber die Renitenten, denen er als Geheimrat übel mitgespielt hat, werden ihn sicher verfolgen. Wahrscheinlich sind wir diesen Plagegeist also ein für alle Mal los. Ich kann ja gleich morgen eine Bestellung für neues Holz aufgeben. Du wirst sehen, Maikea, jetzt wird alles einfacher!«
»Daran mag ich nicht so recht glauben … «
Geert trat neben sie und legte seine Hand auf ihre
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